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Kind in einer Koranschule – suspekt im westlichen Bildungssystem.

Die Wiener ÖVP wittert einen Skandal, die "Krone" unterstützt sie dabei kräftig, die zuständige Stadträtin Sonja Wehsely bremst, und dennoch gibt es demnächst einen "Gipfel" mit dem Integrationsminister: Der Bericht des Wissenschafters Ednan Aslan, in dem unter anderem zu lesen ist, in muslimischen Kindergärten werde die Entstehung von Parallelgesellschaften zumindest begünstigt, birgt gesellschaftspolitischen Sprengstoff.

Gerade jetzt. Nach den Terroranschlägen in Paris ist sowieso der Teufel los. Europaweit fühlen sich Muslime tagtäglich genötigt, sich von den Attentätern und deren islamistischem Wahn zu distanzieren. Der Integrationsminister will die Werthaltungen von Flüchtlingen abprüfen und sorgt sich um die Gleichberechtigung von Frauen. Junge Musliminnen erklären öffentlich, warum sie Kopftuch tragen, und Fuat Sanaç, der Chef der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, beklagt den Generalverdacht, unter dem Muslime stünden. Diese würden "verfolgt", klagte er jüngst sogar.

Nicht friedlich?

Der deutsch-ägyptische Politologe und Schriftsteller Hamed Abdel-Samad erregt gerade Aufsehen mit einem Interview, das er der "Zeit" gegeben hat und in dem er sagt, der Islam sei keine friedliche Religion – und Muslime täten zu wenig, um ihn dazu zu machen. Da passt der Bericht über dubiose muslimische Kindergärten in Wien gut dazu.

Dabei handle es sich nur um einen Zwischenbericht zu einem Forschungsprojekt, versichern die Beteiligten, es brauche noch mehr – Zeit, Geld und Forschungsfragen –, um wissenschaftlich exakt sagen zu können, wie die pädagogische und religiöse Förderung von Kindern in muslimischen Kindergärten zu beurteilen sei.

Offene Augen

Drei Jahre will Aslan, zu lang, befindet die Politik. Dort hat man offenbar längst das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt. Dass es einen Wunsch nach Segregation gebe, überrasche sie nicht, sagt Wehsely in der "Presse". Man müsse "nur mit offenen Augen durch die Stadt gehen". Tatsächlich hat man in den letzten Jahren vor allem Frauen mit Migrationshintergrund sehr darin gefördert, einen Beruf zu ergreifen – etwa als Kindergartenhelferin, in "Privatkindergärten". Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dabei habe man, im Namen der erfolgreichen "Integrationsleistung", nicht hinreichend darauf geachtet, dass Deutschkenntnisse und pädagogische Voraussetzungen stimmen.

Der muslimische Privatkindergarten ist freilich nicht die einzige Institution, auf die man genauer blicken sollte. Es gibt in Wien Volksschulen mit hohem Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund, wo mehr als die Hälfte aller Kinder von Familienmitgliedern zu Mittag abgeholt wird – weil sie nachmittags in "privaten Horten" betreut werden. Das Lehrpersonal kann nur aufgrund der Erzählungen der Kinder mutmaßen, dass es sich dabei um Koranschulen handelt. Was dort passiert, weiß keiner genau.

Konservative Tendenz

Das alles sind "on dits", es gibt nur Mutmaßungen. Es gibt auch keinen Grund anzunehmen, dass alle Kinder dort mit radikalen Inhalten konfrontiert werden. Mit konservativen bestimmt – aber welche religiöse Konfession ist das vom Grundsatz her nicht? Auch in katholischen Privatkindergärten werden Gebete auswendig gelernt.

Jedenfalls ist es im Interesse des Staates, genau hinzusehen. Sich einzumischen, wo es notwendig ist. Standards zu verlangen und zu überprüfen. Kontrolle ist nicht "unmenschlich", wie Fuat Sanaç schimpft. Sie ist wichtig und notwendig – auch um von rechten politischen Gruppen geschürten Vorurteilen gegen Muslime zu begegnen, die die Gesellschaft tief spalten. Es wird Zeit, dass die Politik Integration als Pflicht zur Einmischung begreift – und nicht als Freibrief zum Wegschauen.

Mehr als Goodwill

Wenn man nun, wie Schriftsteller Abdel-Samad kritisiert, in Deutschland die kaum durchschaubaren Moscheevereine zu Anlaufstellen für Flüchtlinge macht, wäre das genau der verkehrte Weg. Integration ist staatliche Aufgabe, nicht Goodwill von eingetragenen Vereinen. Und es wird auch Zeit, dass sich Eltern und Erziehungsberechtigte an die Stadt wenden und melden, wenn ihnen etwas auffällt – nur unter der Hand weiterzuerzählen ist weder besonders couragiert noch sonderlich hilfreich.

Muslimische Amts- und Würdenträger sollten auch aufhören, sich selbst leidzutun – und stattdessen im Interesse der Menschen, die sie zu vertreten vorgeben, offensiv werden und dubiosen religiösen (und politischen) Tendenzen in den eigenen Reihen einen Riegel vorschieben. Das geht nur, wenn Politik und Religionsgemeinschaft existierende Probleme nicht negieren, sondern das Unangenehme ansprechen. Und dann gemeinsam an Lösungen arbeiten. (Petra Stuiber, 9.12.2015)