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Digitalkommissar Oettinger am Mittwoch bei der Präsentation der Pläne.

Foto: APA/AFP/Thys

Urheberrecht, Onlinehandel, Datenschutz: Mit ihrer neuen "Strategie für einen digitalen Binnenmarkt" will die EU-Kommission einen großen Wurf vorlegen und Bürgern mehr Rechtssicherheit im Netz bieten. Der Entwurf wurde am Mittwoch vom Digital-Triumvirat aus Digitalkommissar Günther Oettinger (Konservative), dem Kommissar für digitalen Binnenmarkt, Andrus Ansip (Liberale), und Justizkommissarin Věra Jourová (Sozialdemokraten) vorgestellt. Er berührt tatsächlich eine Reihe von Punkten, die nah am Leben der Nutzer sind. Doch für Kritiker wie die Piratenpartei und die Grünen sind es vielmehr "Trippelschritte" statt eines großen Wurfs.

Warum ein digitaler Binnenmarkt?

Für die Reforminitiativen gibt es eine ganze Reihe unterschiedlicher Gründe. Der Onlinehandel soll verbessert werden, um den Binnenhandel innerhalb der EU anzukurbeln. Im Bereich digitaler Güter gibt es wiederum Beschwerden von Verbraucherzentralen und Datenschützern. Dann gibt es noch das riesige Problem der Piraterie, das der Unterhaltungsindustrie laut Studien Einbußen in Millionenhöhe beschert. Doch ein zersplittertes Urheberrecht innerhalb der EU macht große Lösungen schwer. Deshalb sollen erste Schritte zur Harmonisierung erfolgen, die auch symbolischer Natur sind – denn wo physische Grenzen gefallen sind, sollen keine digitalen bestehen bleiben.

1. Rückgaberecht für Apps

Künftig können Apps bei Mängeln retourniert werden. Wenn eine Anwendung etwa nicht ordnungsgemäß funktioniert, sollen Nutzer die Rückgabe des Kaufbetrags verlangen dürfen. Bislang gab es oft nur Rabatte für künftige Einkäufe, berichtet "Heise". Die Regelung ist eine Herzensangelegenheit von Justizkommissarin Jourová, die auch für Verbraucherschutz zuständig ist. Apple hatte ein ähnliches Modell mit zweiwöchiger Rückgabefrist kürzlich in seinem App-Store vorgestellt.

2. Online: Leichtere Rückgabe auch von Gebrauchtwaren

Auch für Retouren von physischen Waren, die online erworben wurden, sollen künftig konsumentenfreundlichere Regeln gelten. Wer etwa ein Produkt von einem kommerziellen Händler kauft, erhält darauf gemäß Plänen der Kommission eine zweijährige Gewährleistungsfrist. Nutzer aus Österreich können also künftig etwa in Italien oder Spanien gebrauchte Möbel erwerben, ohne Probleme bei etwaiger Rückgabe zu befürchten.

3. Datenlöschung bei Vertragsende

Zahlen Nutzer für die Verwendung einer Software oder eines Services permanent mit ihren Daten – man denke etwa an E-Mail-Anbieter –, dann sollen diese Daten bei Vertragsende auch gelöscht werden. Die IT-Konzerne dürfen diese dann nicht mehr für Analysen und Werbezwecke verwenden, so die EU-Kommission. Verbraucherschützer applaudieren diesen Vorschlägen, wenngleich der deutsche IT-Verband Bitkom laut "Heise" eine "realitätsferne Überregulierung" befürchtet.

4. Bezahlte Services sollen temporär im Ausland funktionieren

Bei einer "Weinreise ins Bordeaux" (Oettinger) nicht auf sein daheim abgeschlossenes Netflix-Abo zugreifen können? Das will die EU-Kommission künftig verhindern. Sie sieht eine "temporäre" Ausnahme vom sogenannten Geoblocking vor. Wie lange dieser Zeitraum ist, bleibt noch unklar. Möglich sind einige Wochen, für permanent im Ausland wohnende Personen sollen keine Ausnahmen gemacht werden.

5. Öffentlich-rechtlich bleibt gesperrt

Auf Mediatheken und Livestreams von ausländischen öffentlich-rechtlichen Sendern (etwa BBC) müssen andere Europäer weiterhin verzichten. Oettinger begründet das mit fehlenden Lizenzen für viele Produkte. Allerdings bleibt unklar, warum es keine Ausnahmen für Eigeninhalte gibt, die nicht ans Ausland verkauft werden – etwa politische Debatten oder länderspezifische Sendungen. Dass beispielsweise die ORF-Diskussionssendung "Im Zentrum" nach Frankreich oder Spanien exportiert würde, ist eher zu bezweifeln. Für Österreicher, die etwa in Brüssel arbeiten, wäre sie aber demokratiepolitisch ein Mehrwert. Allerdings haben Fernsehsender Lizenzen etwa für die Hintergrundmusik oder einzelne Videoausschnitte in solchen Sendungen nur für gewisse Regionen erworben.

6. Sprachliche Minderheiten haben das Nachsehen

Die Ausnahmeregelung soll auch dann nicht permanent in Anspruch genommen werden dürfen, wenn es für sprachliche Minderheiten in deren Heimatland keinen adäquaten Ersatz gibt. Das kritisiert etwa Julia Reda von der Piratenpartei heftig. Anders ist das beim Marrakesch-Abkommen, das den Zugang für sehbehinderte Personen regelt. Hier gibt es Ausnahmen beim Urheberrecht.

7. Die Panoramafreiheit soll erhalten bleiben

Vor einigen Monaten hatte ein Vorschlag eines Abgeordneten für Aufsehen gesorgt: Er stellte den Antrag, dass urheberrechtlich Gebäude nicht für kommerzielle Zwecke fotografiert werden dürfen. Da Nutzer Facebook beim Upload von Bildern kommerzielle Rechte an den Fotos eingestehen, hätten so Urlaubsfotos vom Eiffelturm Konflikte mit dem Urheberrecht hervorrufen können – was in einigen Ländern bereits der Fall ist. Die EU-Kommission will nun dafür kämpfen, die Panoramafreiheit europaweit zu festigen.

8. Mashups und Remixes sind keine Erwähnung wert

Auf moderne Formen der Nutzung, die urheberrechtliche Konflikte hervorrufen, nimmt die EU-Kommission wenig Rücksicht. Mashups und Remixes werden in der vorgeschlagenen Richtlinie kein einziges Mal erwähnt. Die Analyse großer Datenmengen, die urheberrechtlich geschützt sind, darf wohl nur erfolgen, wenn die Forschung "dem öffentlichen Wohl" dient – wie das in der Praxis aussieht, muss abgewartet werden. Auch Satire und Parodie werden nicht klar geschützt.

Fazit: Eine echte Harmonisierung ist in weiter Ferne

Zwar gehen viele der von der EU-Kommission genannten Punkte in die richtige Richtung, vom Lösen des "gordischen Knotens" kann allerdings keine Rede sein. Die EU wird auch nach der Reform eine Gemeinschaft mit 28 verschiedenen Urheberrechtsgesetzen bleiben. Julia Reda nennt auf ihrem Blog ein Beispiel: Wenn französische Autoren als Soldaten sterben, erhöht sich der Schutz ihrer Werke von siebzig auf hundert Jahre. Solche Regelungen sind mannigfach in einzelnen nationalen Gesetzen enthalten. Nicht nur Anbieter wie Netflix, die den unkomplizierten US-Raum gewohnt sind, stöhnen daher, wenn es um Europa geht. (fsc, 10.12.2015)