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Leiser Kritiker und grünes Urgestein: Rudi Anschober spricht über heikle Parteithemen auch nach fast 30 Jahren in der Landes- und Bundespolitik lieber hinter verschlossenen Türen.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Linz – Oberösterreichs Grünen-Chef Rudi Anschober sieht in seiner Partei die Notwendigkeit einer Strategiedebatte. "Wir müssen uns entsprechend weiterentwickeln, um die historische Richtungswahl 2018 für uns zu entscheiden", sagt der 55-Jährige im STANDARD-Interview. Der Integrationslandesrat fordert auch einen Integrationsvertrag zwischen Bund und Ländern.

STANDARD: Bei den Grünen gärt die interne Diskussion über einen allzu autoritären Führungsstil der Parteispitze. Hat man die Basisdemokratie ins Museum gehängt?

Anschober: Nein. Aber wann sollte man sonst eine Strategiedebatte durchführen, wenn nicht jetzt? Das große Wahljahr 2015 ist vorbei, und in den kommenden zwei Jahren gibt es keinen bundes- und landesweiten Wahlgang außer der Bundespräsidentenwahl. Also absolut der richtige Zeitpunkt, um angesichts eines dramatischen Rechtsrucks in ganz Europa darüber offen zu diskutieren, wie sich die Grünen in Richtung Nationalratswahl 2018 aufstellen sollen.

STANDARD: Der steirische Grünen-Chef Lambert Schönleitner vermisst einen "politischen Killerinstinkt" bei den Grünen, der Vorarlberger Amtskollege Johannes Rauch fordert ein "Ende der Behäbigkeit" der Grünen. Da ist man doch heute unzufrieden – und will wohl nicht nur über die Strategie von morgen diskutieren, oder?

Anschober: Wir Grüne sollen nicht darauf vergessen, was wir alles leisten. Wir sind der Gegenpol zur FPÖ, wir haben es geschafft, uns in sechs Landesregierungen zu verankern. Das hätte vor zehn Jahren keiner für möglich erachtet.

STANDARD: Meine Frage zielte nicht auf eine grüne Leistungsschau ab. Nimmt man die Kritiker in den eigenen Reihen ernst?

Anschober: Natürlich. Ich gehe davon aus, dass jeder der Kritiker einen positiven Beitrag leisten will. Klar ist: Wir müssen uns entsprechend weiterentwickeln, um die historische Richtungswahl 2018 für uns zu entscheiden. 2018 geht Österreich in eine blaue oder grüne Richtung. Da tragen wir eine enorme Verantwortung.

STANDARD: Um noch einmal Ihren steirischen Kollegen Schönleitner zu zitieren: "Lachende Tomaten und frisch gewaschene Ferkel auf den Wahlplakaten sind zu wenig, um die Menschen anzusprechen." Klingt wenig positiv, oder?

Anschober: In der Steiermark ist halt eine gewisse Frustration dabei, weil sich die Grünen einen stärkeren Zuwachs bei der Landtagswahl erhofft haben. Aber wir führen immer eine selbstkritische Diskussion – und das ist gut so.

STANDARD: Braucht es mehr Offenheit an der Parteispitze?

Anschober: Nein, warum auch? Es gibt eine gute Kommunikation in der Partei. Und strategisch ist viel passiert: Es gibt heute so etwas wie eine grüne Marke. Vom Neusiedler See bis zum Bodensee ist ein Plakat, eine Veranstaltung als grün wahrnehmbar. Da brauch ich gar nicht grün draufschreiben.

STANDARD: Sie scheinen auf der langen Liste der internen Kritiker bei den Grünen offiziell nie auf. Sind Sie so zufrieden oder einfach nur konfliktscheu?

Anschober: Ich bringe meine Kritik und meine Vorschläge eben gerne parteiintern ein. Auch wenn ich mir damit bei Journalisten sicher keine Freunde mache.

STANDARD: Darf man bei den Grünen eigentlich über Flüchtlingsobergrenzen diskutieren?

Anschober: Ich bin froh, dass bei den Grünen angesichts dieser humanitären Katastrophe Obergrenzen für Kriegsflüchtlinge von niemandem befürwortet werden.

STANDARD: Die Frage war, ob man darüber diskutieren darf. Als die Wiener Grünen-Chefin Maria Vassilakou via STANDARD-Interview kundtat, man müsse sich auch einer Diskussion über Obergrenzen stellen, war schnell Feuer am Parteidach. Ist möglicherweise die Gesprächskultur bei den Grünen doch nicht ganz so offen, wie Sie das gerne darstellen?

Anschober: Doch. Aber vielleicht sind wir da als Grüne etwas übervorsichtig und überstreng zueinander. Mehr Toleranz würde uns manchmal nicht schaden. Doch der feine Unterschied ist: Einer bestehenden Diskussion muss man sich stellen, aber ohne Änderung der grünen Linie.

STANDARD: In der Flüchtlingsdebatte wirft man den Grünen gerne vor, eine "Schönwetterpolitik" zu betreiben. Ärgert Sie so etwas?

Anschober: Es ist ungerecht, ja. Wir betreiben genau das Gegenteil. Wir stehen mitten drin, wir setzen um. Ich bin seit sieben Wochen in Oberösterreich für den Asyl- und Integrationsbereich zuständig. Ich mache das wirklich mit Herzblut. Das ist eine historische Herausforderung, das exakte Gegenteil von Schönwetterpolitik. Auch mit Gegenwind und vielen Anfeindungen.

STANDARD: Was braucht es jetzt in der Integrationsdebatte?

Anschober: Die Quartiersuche ist schwierig, die Integration wird jedoch noch viel wichtiger. Ich fordere daher einen großen Integrationsvertrag zwischen Bund und Ländern. Eine Art Staatsvertrag, eine 15a-Vereinbarung. Wie wir die Sprachkurse forcieren, ab dem ersten Tag der Anwesenheit im Land, wie wir die Wohnungsfrage lösen, den Ausbau von Schulen und Kindergärten. Und ich bin für eine kontrollierte Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber. Wir müssen die Chancen einer gelungenen Integration sehen. Aber Minister Kurz ist offenbar derzeit wild entschlossen, seinen Weg zum Bundeskanzler über rechte Seifenblasen zu gehen.

STANDARD: Haben Sie das Ende von Schwarz-Grün schon verwunden?

Anschober: Ja. Aber ich habe mir eine ganze Nacht vor der Konstituierung der neuen oberösterreichischen Landesregierung überlegt, ob ich diese Quadratur des Kreises schaffen kann: die Integrationsarbeit und die Asylpolitik trotz Schwarz-Blau in Oberösterreich voranzutreiben. Ich habe mich dann entschieden, den Stier bei den Hörnern zu packen.

STANDARD: Sind Sie von Ihrem langjährigen Koalitionspartner Josef Pühringer enttäuscht?

Anschober: Freundschaften sind mir extrem wichtig. Aber ich habe mir angewöhnt, diese nicht in der Politik zu suchen. (Markus Rohrhofer, 15.12.2015)