Wandeln auf Asphalt: Sonia Leimers "objets trouvés" aus dem Stadtraum weisen reizvolle Spuren und Strukturen auf.

Stefan Altenburger

Damit die Situation nicht aus den Fugen kippt, benötigt es sichtlich viel Kraft: In der Galerie nächst St. Stephan stößt man, kaum eingetreten, auf eine zwei mal drei Meter große Wand, die vor den Augen der Betrachter zu schweben scheint.

An Zauberei ist Künstlerin Sonia Leimer aber gar nicht interessiert. Die Haltekonstruktion ist in ihrer Ausstellung schließlich ebenso unübersehbar wie das stabilisierende, wassergefüllte Gegengewicht, das wie ein riesiger, schwarzer Boxsack von der Decke hängt. Solche "Säcke" werden angeblich – allerdings in weitaus größeren Dimensionen – auf Baustellen verwendet, wo sich Leimer Form und Funktion auch abgeschaut hat.

Sonia Leimer (geb. 1977 in Meran), die in Wien Architektur studiert hat, stellt damit klassische Fragen der Bildhauerei: Fragen nach innen und außen, nach dem Volumen oder wie man Elemente in ein gutes Verhältnis setzt.

Gleichzeitig spielen aber in ihre Arbeit immer auch Aspekte der Geschichte oder der Veränderung und Aufteilung des öffentlichen Raumes mit hinein: Eine Reihe auf dem Boden liegender Asphaltstücke ist daher auch mit realen Straßennamen betitelt. Mit Ölflecken oder diversen (Baustellen-)Markierungen versehen, weisen sie zudem alle sehr individuelle Spuren auf. Während man sich über den im Ausstellungsraum befremdlich wirkenden Bodenbelag bewegt, stellt sich die Frage, wem die Straße gehört, irgendwann fast automatisch.

Wem gehört die Stadt?

Die Besitzfrage stellt Leimer mit ihren Platzhaltern aber auch ganz dezidiert: Es handelt sich dabei um leicht verformte, aber durchaus wiedererkennbare Metallstangen, die im Stadtraum üblicherweise Aufenthaltsverbote markieren. Aktuell ist eine sehr wackelige Version zu sehen, die Leimer in Moskau gefunden hat. Das Objekt ist um einiges fragiler als seine österreichischen "Kollegen" und trägt Spuren von Kollisionen mit Autos, aber auch von Fußtritten.

Im Rahmen der Moskau-Biennale entstand eine Arbeit, bei der Leimer sich allerdings für einen nicht so detaillierten Blick auf die Mentalität der Stadt entschied: Above the crocodiles titelt das Video, das auf Archivmaterial eines russischen TV-Senders basiert.

Es zeigt den Blick von der ISS-Raumstation auf die Erde, auf der man gerade nach etwas zu suchen scheint. Erahnen lässt das zum einen die Kamerabewegung, aber auch der Dialog zweier Männer, in den Leimer eine fiktive weibliche Stimme hineingeschummelt hat: "How did you end up here?", hört man diese etwa fragen. Irgendwann taucht auch das Wort "Sanktionen" auf, was in Zusammenhang mit den Bildern der Erde aus extremer Luftperspektive (aus dem All!) seltsam absurd klingt.

Die Relativität des Betrachterstandpunktes spielt auch in Pale Blue Dot eine Rolle: Auf Sonnenschutzfolien hat sie dafür ein berühmtes Foto aus dem Jahr 1990 gedruckt, das die Erde von der am weitestmöglich entfernten Aufnahmeposition im Weltraum – eben als einen blassen Punkt unter vielen – zeigt. (Christa Benzer, 19.12.2015)