Elisabeth Oberzaucher bei der Verleihung des Ig-Nobelpreises für die Studie über die Zeugungsfähigkeit eines Sultans. Beim Nobelpreis sind in Österreich aktive Wissenschafter schon längere Zeit nicht erfolgreich.

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Wien – Jahreswechsel sind auch für große Wissenschaftsmagazine ein willkommener Anlass, Rückschau zu halten. Gewählt werden die Durchbrüche des Jahres oder auch die wichtigsten wissenschaftlichen Köpfe der vergangenen zwölf Monate. "Forschung Spezial" blickt vergleichsweise bescheiden wie auch in den vergangenen Jahren auf ein paar wenige Ereignisse zurück – und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wir beginnen mit zwei Namensnennungen, die die Seele der österreichischen Wissenschaftscommunity doch ein paar Tage beschäftigte. Aber leider:

· Wir sind nur fast Nobelpreisträger: Zwei ehemals hierzulande arbeitende Wissenschafter wurden vom Informationskonzern Thomson Reuters als heiße Nobelpreiskandidaten gehandelt: Der ungarisch-österreichische Physiker Ferenc Krausz, seit 2004 Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching, war der eine. In seiner Zeit an der TU Wien unmittelbar davor, gelang es ihm, die Dauer ultrakurzer Laserblitze auf den Attosekundenbereich (der trillionste Teil einer Sekunde) zu reduzieren. Die Französin Emmanuelle Charpentier war die andere. Die Direktorin des Berliner Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie war einst an den Max F. Perutz Labs tätig und hat einen maßgeblichen Anteil an der Entwicklung der Gen-Schere CRISPR/Cas9, mit der man in die DNA eingreifen kann, was Hoffnungen auf neue Gentherapien bei Krankheiten weckt. Zumindest in ihrem Fall wäre eine Schlagzeile im Stil von "Wir sind Nobelpreisträger!" nicht wirklich angebracht. Charpentier sah in Wien nämlich keine Zukunftsperspektive und setzte ihre Forschungen in Schweden und bald darauf schon in Deutschland fort. Charpentier wird übrigens am 2. Mai die nächste Landsteiner-Lecture des Centrums für Molekulare Medizin (CeMM) halten. Der Vortrag startet um 18 Uhr in der Akademie der Wissenschaften am Ignaz-Seipel-Platz in Wien.

· Wir sind Schmähpreisträger: Alle Jahre wieder wird an der ehrwürdigen Harvard University in Cambridge bei Boston der Schmähpreis Ig-Nobel vergeben – für wissenschaftliche Arbeiten, die einen recht absurden Ansatz verfolgen, aber durchaus ernst gemeint sind und in seriösen Fachmagazinen erschienen: Heuer wurden unter anderem Anthropologen der Universität Wien geehrt. Elisabeth Oberzaucher nahm den Preis für ein PlosOne-Paper über die Zeugungsfreude eines Sultans entgegen. Mouley Ismael von Marokko (1672-1727) soll unglaubliche 888 Kinder gezeugt haben. Angeber? Mitnichten. Die Wissenschafter analysierten mit Computersimulationen, dass das möglich ist.

· Das Jahr der Jubiläen: 2015 stand ganz im Zeichen von 650 Jahre Universität Wien. Mit zahlreichen Veranstaltungen und gelungenen Ausstellungen wurde an die wechselvolle Geschichte gedacht – in der Bundeshauptstadt hieß es bald: das allgegenwärtige Jubiläum. Auch eine Straßenbahn wurde mit dem entsprechenden Logo verziert. Vergleichsweise zurückhaltend wurde an der Vetmed-Uni Wien (250 Jahre) und an der TU Wien (200 Jahre) gefeiert.

· Life Sciences in der Spitzenforschung: Selbstverständlich muss man am Ende eines Jahres – unösterreichisch – auch einige wichtige Arbeiten und Forschungszentren ins Rampenlicht rücken. Gekommen sind sie von den üblichen Protagonisten. Zehn Prozent der menschlichen Gene sind "lebenswichtig". Das ist zum Beispiel das zentrale Ergebnis eines vielbeachteten Papers, das am CeMM im zu Ende gehenden Jahr entstand und im Oktober im Magazin Science erschienen ist. Anfang Dezember erschien im Journal Nature eine Arbeit über die Entdeckung eines langgesuchten Faktors, der die Umwandlung von ausgereiften Zellen in induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) verhindert. Durch die Unterdrückung dieses Faktors konnte man das zelluläre Gedächtnis löschen, was die Rückprogrammierung von Körperzellen in Stammzellen vereinfacht und beschleunigt. Beteiligt waren das Institut für Molekulare Pathologie (IMP), das Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) und die Harvard Medical School.

· Ein neues Konzept für den Quantencomputer: Wolfgang Lechner, Philipp Hauke und Peter Zoller vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) in Innsbruck schlugen eine neuartige Computerarchitektur vor, um Quantencomputer frei programmierbar zu machen. Das auf Konferenzen vieldiskutierte Paper erschien in Science.

· Erfolgreiche Suche nach dem Stickstoff-Allrounder: Wiener Mikrobiologen um Michael Wagner haben Mikroben entdeckt, die alle Stufen der Nitrifikation, einen wichtigen Abschnitt des globalen Stickstoffkreislaufs, durchführen können. Damit besteht mehr Klarheit über die natürliche Umwandlung von Ammonium in Nitrit und Nitrat.

· Ein Bankomat für Grundlagenforschung: Wenngleich der von der Politik angesprochene Bankomat für die in Österreich unterdotierte Grundlagenforschung noch nicht gefunden ist, ein paar Ansätze für eine eventuell erfolgreiche Suche nach mehr Geld gibt es – zum Beispiel die Abänderung des Stiftungsrechts, die es "Reichen" nun leichter macht, gemeinnützig Geld zur Verfügung zu stellen. Der Wissenschaftsfonds FWF, deren Präsidentin Pascale Ehrenfreund sich überraschend verabschiedete und Chefin des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt DLR wurde, hat wegen immer mehr hochqualitativer Anträge und des stagnierenden Budgets von 184 Millionen Euro die Doktoratskollegs eingestellt, die Spezialforschungsbereiche gekürzt.

· Ein neu besetzter Rat: Der österreichische Rat für Forschung- und Technologieentwicklung, ein Beratungsorgan der Bundesregierung, wurde neu besetzt – wie gehabt jeweils zur Hälfte vom Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium und vom Verkehrsministerium. Neu dazugekommen sind: Jakob Edler, Direktor des Institute of Innovation Research, Manchester Business School, der Unternehmensgründer Hermann Hauser, Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende von Infineon Austria, die Wissenschaftsforscherin und ehemalige Präsidentin des Europäischen Forschungsrats ERC Helga Nowotny, Sylvia Schwaag-Serger von der Swedish Government Agency for Innovation Systems (Vinnova) und Klara Sekanina, ehemalige Geschäftsführerin der schweizerischen Kommission für Technologie und Innovation. Verlängert wurden der Industrielle Hannes Androsch als Vorsitzender und der Genetiker Markus Hengstschläger als sein Stellvertreter. Beobachter sehen darin ein klares Signal in Richtung internationaler Expertise. Ob sie 2016 den Bankomaten finden können? (Peter Illetschko, 23.12.2015)