Auf USB-Sticks und -Festplatten wurde das "Paket" ursprünglich verbreitet, heute kursiert es zunehmend auch im WLAN-basierten "SNet".

Foto: CC0/Public Domain https://pixabay.com/de/usb-daten-usb-stick-elektronik-510757

Jahrzehntelang hat sich der Inselstaat Kuba vom Rest der Welt weitgehend abgeschottet und auch seinen Bürgern ein mediales Fenster nach Außen verwehrt. Fernsehen und Medien waren in Staatshand, die Internet-Revolution erreichte lediglich staatsnahe Eliten.

Trotzdem fanden auch Hollywood-Blockbuster und neue Hit-Alben ihren Weg auf das karibische Eiland. Mangels offizieller Verfügbarkeit erblühte die Content-Piraterie, die in anderen Teilen des Planeten hauptsächlich als Online-Phänomen wahrgenommen wurde, dort allerdings offline, wie Torrentfreak berichtet.

"Wochenpaket"

Der Künstler und Autor Ernesto Oroza beschreibt das Verbreitungssystem in einem Text für das "Pirate Book", das online kostenlos zur Verfügung steht. Was für Millionen von Internetnutzern zuerst Napster, eDonkey und später BitTorrent wurden, kennt man in Kuba als das "Paquete Semanal".

"Es ist zehn oder 15 Jahre her", erinnert sich Oroza, "Ich erinnere mich, dass mein Neffe der erste in unserer Familie war, der mitgemacht hat." "El Paquete Semanal" heißt auf deutsch schlicht "das Wochenpaket", der Name verdeutlicht bereits, dass ein Austausch in Echtzeit, wie er über Online-Tauschbörsen erfolgt, auf Kuba freilich nicht praktiziert wurde.

Nachbarschaftsverkauf

Actionfilme, Musikvideos und Dokumentationen von National Geographic – daraus bestand der Inhalt der USB-Festplatte, die Orozas Neffe eines Tages von einem Nachbarn bekommen hatte. Pioniere waren einige der wenigen Leute, die damals überhaupt im Besitz eines Computers waren.

Diese begannen, digitale Inhalte zu sammeln und weiterzuverkaufen. Interessenten konnten Komplettpakete erwerben, aber auch für weniger Geld nur einen Teil des Angebots bekommen. Es war auch möglich, nach spezifischen Inhalten zu Fragen. Wer nur Videospiele haben oder Martial Arts-Filme sehen wollte, teilte dies dem Verkäufer mit.

Immer mehr Content

Wenn es neue abzuholen gab, begab man sich mit einer Festplatte zum Verkäufer, der die Inhalte überspielte. Die verwendeten Speicher unterstützten die direkte Wiedergabe von Videodateien auf einem Fernseher, sodass man auch ohne eigenem Rechner neue Filme ansehen konnte.

Das "Paket" wurde mit der Zeit immer umfangreicher. Waren es Anfangs nur wenige Filme, findet man heute auch Mitschnitte von Reality Shows, Cartoons, Comics, Apps, Sprachkurse oder Magazine im PDF-Format im Offline-Sortiment. Besonders beliebt sind laut Oroza derzeit koreanische Seifenopern.

Heute, wo die Verbreitung von Computern deutlich höher ist, läuft die Verteilung freilich anders. Ausgangspunkt der Verteilung ist das Internet. Einige wenige Menschen mit gutem Internetzugang – oft Ausländer oder Kubaner, die für ausländische Unternehmen tätig sind sowie Besitzer illegaler Satellitenantennen – laden die Inhalte herunter und verteilen sie weiter. Es ist durchaus denkbar, dass manche von ihnen auch für staatliche Stellen tätig sind. Festplatten, USB-Sticks und andere Hardware wird hingegen rege zwischen Kuba und Miami, der Heimat vieler Exil-Kubaner, gehandelt. Auch manche Inhalte schaffen es auf diesem Wege ganz ohne Internet ins Land.

Fahrradkuriere

Das Geschäftsmodell des "Paquete Semanal" basiert zum Teil auf einem einfachen Distributorenprinzip. Den Endkunden kostet ein komplettes Paket umgerechnet rund 90 Eurocent, was einem Fünfzehntel bis Zwanzigstel eines üblichen Monatsgehalts entspricht.

Die Verkäufer, die den Content meist per Fahrrad in den Städten ausliefern, bezahlen ihrerseits zwischen rund drei Euro und neun Euro. Zunehmend mehr machen Gebrauch von den relativ neuen Lizenzen für den Straßenverkauf und bringen das "Paket" im ganzen oder filetiert unter die Leute.

Gescheiterte Gegenmaßnahmen

Das Verhältnis der kubanischen Regierung zum "Wochenpaket" ist gespalten. Einerseits wurden auch schon im Staatsfernsehen illegale Versionen von Hollywood-Krachern gezeigt, andererseits warnt man vor der Kontamination mit "amerikanischer Kultur" und bewirbt stattdessen Bildungsmedien für junge Leute ohne Sex oder Gewalt.

Zu Beginn des Phänomens fürchtete man aber vor allem, dass sich auf diesem Wege regierungskritische Inhalte verbreiten würden. Folglich zog man die gesetzlichen Zügel an und bedrohte Verkäufer mit Haftstrafen. Man versuchte auch, mit einem eigenen Paket – dem "Maletín" oder "Mochila" – einer Sammlung klassischer Filme, Musik und Bildungsvideos. Zwar wurden auch diese ohne Wissen oder Zustimmung der Urheber unters Volk gebracht, laut Oroza erwies sich das "Anti-Paket" mangels Interesse der Bevölkerung allerdings als Totalflop.

Auch andere Maßnahmen, wie dramatische Warnungen vor gefährlichen Computerviren im TV, halfen wenig gegen den Offline-Medienaustausch.

La Diosa

Das "Paket" als Kulturplattform

Weil das Internet nach wie vor kein Massenphänomen ist und viele Dienste wie Youtube gesperrt sind, erfüllt "El Paquete" auch originär kulturelle Zwecke. Kubanische Bands versuchen etwa, auf diesem Wege mit ihren Musikvideos zu nationaler Bekanntheit zu gelangen. "Bist du nicht im Paket, existierst du nicht", textet etwa die Gruppe La Diosa. Selbst kubanische Webdienste wie die Verkaufsplattform Revolico machen Gebrauch davon und sind mit Annoncensammlungen im PDF-Format vertreten.

Moderne Technologien löst zum Teil die Radzustellung ab. Findige Computernutzer haben ein System namens "SNet" entwickelt, mit dem sich Computer per WLAN über weite Strecken vernetzen. Etwa 10.000 Rechner sollen bereits Teil davon sein. Neben Dateiaustausch dient das Netzwerk auch dazu, gemeinsam Multiplayer-taugliche Videospiele zu spielen. (gpi, 27.12.2015)