Frappierend und erhellend zugleich ist das gesellschaftliche Sittenbild, das sich aus der Lektüre eines Potpourris dreier Neupublikationen über jene Ära der österreichischen Vergangenheit, als Worte wie Emanzipation der Frau, Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Powerfrau oder Gendergerechtigkeit noch gar nicht erdacht und gebräuchlich waren, erschließt. So wird klar, wes Geist auch heute noch manche Retter des Machismo reiten, was Ewiggestrige gegen Ampelpärchen rittern und meist selbsternannte Brauchtumspfleger volksdümmlich über aktuelle Hymnenverse echauffieren lässt.

Auf den ersten Blick überraschend in diesem Zusammenhang erscheint, trotz seiner Bekundungen als bekennender Erotomane, Arthur Schnitzler. " Alle, alle will ich (...) das liebste wär mir ein Harem; und ich möchte weiter nicht gestört sein", vermerkte der geniale Verfasser so sensibel die Seelennöte offenbarender Werke wie Das weite Land, Professor Bernardi, Anatol, Fräulein Else oder Reigen. Historiker Johannes Sachsenlehner seziert großartig luzide anhand von Tagebüchern, Briefen, Notizen und des literarischen OEuvre des "praktizierenden Polygamisten" die sinnliche Wertschätzung und Verehrung alles 'Weiblichen', gleichzeitig auch Verachtung und Respektlosigkeit gegenüber "Weibern, Canaillen, süßen Mädeln", deren "Besitz" er minutiös in Sex-Statistiken dokumentierte. Die Demütigungen und Verletzungen kulminierten auch in seinen Werken, allerdings gefiltert und verklärt; und abstrahiert.

Die Divergenz der Demimonde des Praters, erotischer Etablissements sowie gesellschaftlicher Vor-Urteile sind Ansätze zahlloser Kunstwerke. Dass die Residenz im 19. Jahrhundert an sich eine Hochburg sündiger Frivolitäten und der Prostitution war, zeigt, opulentest illustriert, Barbara Wolflingseders Buch über Lust & Laster im Alten Wien. Hinter Fassaden aus Konventionen, Tabus und Glanz des Fin de Siècle erstand eine sinnlich-pitoreske Welt sexueller Ausschweifungen und Abgründe.

Widerstand, Auflehnung und Emanzipation vom Patriarchat fand damals zwar nur vereinzelt, aber mit Nachdruck, statt. Herausragende Lebensläufe von außergewöhnlichen Österreicherinnen der Moderne präsentiert Hertha Kratzer in ihrer Porträtsammlung Alles, was ich wollte, war Freiheit. Die Germanistin zeigt den Weg bürgerlicher und adeliger Frauen, die die Ketten der Konvention, der tradierten Rolle der Frau als "Hausfrau und Mutter" sprengten und nach Selbstständigkeit strebten. Wanda von Sacher-Masoch beispielsweise hatte genug von Pelz und Peitsche und wurde Schriftstellerin, Frida-Strindberg-Uhl wurde Journalistin, Nora Kinsky Krankenschwester und Gabriele Possanner Ärztin. Eindrucksvoll auch die Vitae von Hedy Lamarr, Tilla Durieux, Cilli Wang, Helene von Druskowitz und Berta Eckstein-Diener.

"Heimat großer Töchter und Söhne ..."

(Gregor Auenhammer, 29.12.2015)