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Der Vorsitzende der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS),Jarosław Kaczyński (li.), und Justizminister Zbigniew Ziobro bei der Parlamentssitzung am 22. Dezember.

Foto: EPA/RAFAL

Am langen Wochenende nach Neujahr befanden sich die Dienste der EU-Kommission am Sonntag offiziell noch tief in der Weihnachtspause. Die meisten Mitarbeiter sind auf Heimaturlaub.

Aber nicht nur die rechtskonservative Regierung in Polen und das polnische Parlament waren über die Feiertage recht aktiv, wenn es um den direkten politischen Einfluss der neuen Machthaber um den PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński auf Verfassungsrichter und die öffentlich-rechtlichen Medien wie Fernsehen und Radio ging: Auch die Stäbe von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und des für Grundrechte zuständigen Vizes Frans Timmermans waren diesbezüglich nicht faul geblieben.

Oettinger: Polen "unter Aufsicht stellen"

So war es keine große Überraschung mehr, was der für Medien zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" ankündigte: "Es spricht vieles dafür, dass wir jetzt den Rechtsstaatsmechanismus aktivieren und Warschau unter Aufsicht stellen." In der ersten Sitzung nach den Ferien werde die EU-Kommission über die Einleitung eines formellen Verfahrens erstmals diskutieren, sagte Oettinger. Am Montag betonte ein Kommissionssprecher, es handle sich um eine "Orientierungsdebatte" und nicht bereits um den "ersten Schritt des Verfahrens".

Nach Oettingers Auffassung dürfe ein Intendant in einem öffentlich-rechtlichen Medium von der Regierung "nicht ohne Angaben von Gründen entlassen werden"; das wäre "Willkür". Und je größer die Gefahr sei, dass die Öffentlich-Rechtlichen ihre Funktion einbüßen, die Bürger unabhängig zu informieren, "desto mehr müssen wir die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden stärken".

Medien als "Kulturinstitution"

So weit Oettinger. Die polnische Regierung und das Parlament hatten über Silvester per Gesetz genau das Gegenteil getan; sie wollen TV und Radio als "Kulturinstitution" definieren und so die Direktoren direkt steuern. Aus Protest dagegen sind Intendanten und prominente Journalisten von vier Programmen von ihren Posten zurückgetreten.

Vor Oettinger hatte bereits Timmermans zwei scharfe Warnbriefe an das Außen- und das Justizministerium in Warschau geschrieben und auf mögliche Verletzungen der EU-Grundrechtscharta wie der EU-Verträge und einer Medienrichtlinie hingewiesen. Er forderte sofortige Aufklärung der Sachverhalte und den Stopp der Gesetzwerdung bei Mediengesetzen wie bei jenen zur Absetzung von drei Verfassungsrichtern.

Stimmrechtsentzug möglich

Eine Sprecherin Junckers bestätigte dem STANDARD am Sonntag, dass der Präsident in der Sitzung am 13. Jänner eine Debatte über den Zustand des Rechtsstaats in Polen auf die Tagesordnung gesetzt habe. Offenbar geht man davon aus, dass die polnische Regierung bis dahin eine erste Antwort auf die Timmermans-Warnung geliefert hat. "Die Debatte eröffnet die im März 2014 geschaffene, im Rechtsstaatsmechanismus vorgesehene Bewertungsphase", hieß es in der Kommission.

Es sei jetzt "noch zu früh, um über mögliche nächste Schritte zu spekulieren". Theoretisch könnte das bei festgestelltem Grundrechtsverstoß bis zum Entzug der Stimmrechte für Polen gehen. Ein einmaliger Fall – und gravierender als bei Ungarns Viktor Orbán. (red, Thomas Mayer aus Brüssel, 3.1.2016)