Soldaten-Abendmahl. Die Ausstellung "Projektion" in der Kiewer Präsidentschaftskanzlei zeigt Zeitgenössisches in stalinistischem Ambiente.

Foto: Herwig G. Höller

Nicht nur überbordende Korruption und Gewaltexzesse hatten 2013 und 2014 hunderttausende Ukrainer zum Protest gegen Präsident Wiktor Janukowitsch motiviert. Auch ästhetische Aspekte hatten die Anhänger des Maidan überzeugt, das Richtige gemacht zu haben.

So war es kein Zufall, dass die vom Nationalen Kunstmuseum der Ukraine gezeigte Ausstellung von Janukowitschs privater Kunst- wie Kitschsammlung, die Aktivisten aus dem verlassenen Luxusanwesen des Ex-Präsidenten geborgen hatten, im Sommer 2014 als wichtiger Beitrag zur Abrechnung mit dem Regime gegolten hatte.

Knapp zwei Jahre nach dem Machtwechsel mehrt sich im Land erneut Kritik am nunmehrigen Präsidenten und der Regierung, denen Vertreter der Zivilgesellschaft mangelnden Willen bei der Korruptionsbekämpfung sowie eine zögerliche Umsetzung überfälliger Reformen vorwerfen. Der prominente Lemberger Historiker Jaroslaw Hryzak beklagte kürzlich, dass nach dem Sieg des Maidan lediglich "vorgestrige Politiker" durch "gestrige Politiker", darunter der amtierende Präsident Petro Poroschenko und Premier Arseni Jazenjuk, abgelöst worden seien.

Kein ästhetischer Neustart

Gerade der Umgang mit Kunst in Zentren der ukrainischen Macht scheint Hryzaks Eindruck weitgehend zu bestätigen. Bis auf zwei Ausnahmen hat sich in zentralen Amtsgebäuden seit Februar 2014 nur wenig verändert, kann von keinem ästhetischen Neustart die Rede sein. Aber auch von architektonischen Plänen nach dem vielzitierten Vorbild Georgien ist in Kiew bislang nichts bekannt: Der aktuelle Gouverneur der ukrainischen Region Odessa, Micheil Saakaschwili, hatte als georgischer Staatschef (2004-2013) seiner Heimat neue spektakuläre Amtsgebäude mit viel Glas und computergenerierten Rundungen verordnet, die tiefgreifende Verwaltungs- und Wirtschaftsreformen illustrieren sollten.

Die Mächtigen der Ukraine regieren dereinst weiterhin in düsteren neoklassizistischen Repräsentationsbauten, die nahezu ausnahmslos Ende der 1930er-Jahre, am Höhepunkt des Stalinismus, errichtet worden waren und in die damaligen Machtstrukturen eingeschrieben sind.

Macht der Symbole

Einschlägige Symbole sind zwar bereits vor der aktuellen Kampagne zur "Dekommunisierung" mehrheitlich verschwunden, die Vergangenheit blieb hier aber nicht nur baulich präsent: Insbesondere während der Amtszeit von Präsident Leonid Kutschma (1994–2005) entstanden eher drittklassige Gemälde von seit kommunistischen Zeiten bewährten Künstlern, die weiterhin viele Regierungsgebäude dominieren.

So zeichnet sich der Eingangsbereich des "Hauses der Regierung" durch ein spätsowjetisch anmutendes Historiengemälde mit ukrainischen Kriegern aus, das Wilen Tschekanjuk (1931–2000), ehemals hochoffiziöser "Volkskünstler der ukrainischen Sowjetrepublik", noch kurz vor seinem Tod angefertigt hatte. In den endlosen Gängen des 1938 finalisierten Gebäudes finden sich zudem uninspiriert gemalte Ahnengalerien, die teils zwar auch Minister aus längst vergangenen Sowjetzeiten zeigen, jedoch erst in der Ära Kutschma bei ungenannten Künstlern in Auftrag gegeben wurden.

Besonders sticht im Stalinbau aber jener Besprechungsraum hervor, in dem Premier Jazenjuk ausgerechnet Gäste aus dem Ausland trifft: ein banales Getreidefeld mit Blümchen und Sonne im Stile ukrainischer Sowjetkunst der Siebzigerjahre, eine biedere Klosteransicht oder impressionistische Felsen im Meer, die der "Volkskünstler der Ukraine" Stepan Dschus 2007 wohl bei Claude Monet entlehnt hat.

"Ein Fluch über allen Regierenden, die in diese Büros einziehen"

Zumindest zwei Staatsorgane, die ihren Sitz ebenfalls in stalinistischen Repräsentationsbauten haben, lassen bislang ein ästhetisches Problembewusstsein erkennen. Während das Außenministerium als "Schritt im Bereich der Kulturdiplomatie" Ausstellungen zeigt, in denen sich namhafte zeitgenössische Künstler, darunter etwa der Maler Artem Wolokitin, mit umkämpften Abbaugebieten in der Ostukraine beschäftigen, hat die Präsidentschaftskanzlei gar eine eigene Galerie eröffnet.

Die Initiative dafür geht von Poroschenkos Büroleiter Borys Loschkin aus: Der Ex-Medienunternehmer hatte nach seiner Ernennung begonnen, in seinem Büro Sowjetkunst durch Werke der eigenen zeitgenössischen Privatsammlung zu ersetzen, und schließlich ein "Second Floor Artcenter" initiiert: "Die Atmosphäre des Stalin'schen Neoklassizismus hat hier furchtbare Tage der ukrainischen Geschichte eingefroren. Dies hängt wie ein Fluch über allen Regierenden, die neu in diese Büros einziehen", heißt es in einem programmatischen Text.

Alte und neue Ikonografien

Thematisch beschäftigten sich Künstler in bislang vier Ausstellungen mit alten wie neuen Ikonografien. In der aktuellen Ausstellung "Projektion" reinszenierte Youri Bilak, ein ukrainischstämmiger Fotograf aus Frankreich, Werke der Kunstgeschichte. Freilich: Mit Werken von internationalen Kunststars wie Bettina Rheims und David LaChapelle, die mit dem gleichen Verfahren arbeiteten, können Bilaks Bilder nicht mithalten. Seine Sujets, etwa da Vincis Abendmahl und Rembrandts Philosoph, die er jeweils mit Soldaten im ostukrainischen Frontgebiet nachstellte, wirken in erster Linie wie eine in Kiew derzeit politisch opportune Version von zeitgenössischer Kunst.

Nach Voranmeldung ist das "Second Floor Artcenter" an Samstagen für die Bevölkerung geöffnet, es erfüllt aber auch einen anderen Zweck: Präsident Petro Poroschenko schreitet mit Gästen, zuletzt etwa mit US-Vizepräsident Joe Biden, stolz durch die Ausstellungen. Dabei ist der Staatschef selbst bislang kaum durch eine Affinität zum Zeitgenössischen aufgefallen, eher im Gegenteil: Jener neoklassizistische Palast, den der damalige Oligarch nach Vorbild des amerikanischen Weißen Hauses 2009 außerhalb von Kiew errichten ließ, weist ihn zumindest in ästhetischen Fragen eindeutig als Anhänger des alten Regimes aus. (Herwig G. Höller aus Kiew, 4.1.2016)