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Nicht immer ist die Pension selbstgewählte Idylle: Oft werden ältere Arbeitskräfte abgeschrieben – weil sie als teuer und unflexibel gelten.

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"Immer noch kursiert die Hoffnung, so viele ältere Arbeitskräfte wie möglich in die Frühpension zu entlassen", kritisiert OECD-Experte Christopher Prinz. "Es fehlt der Wille umzudenken."

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STANDARD: Die Regierung wird demnächst über Pensionsreformen verhandeln. Was raten Sie?

Prinz: Es gibt zwei Probleme, die zu lösen sind. Erstens gilt es die Menschen bis in ein höheres Alter im Arbeitsmarkt zu halten als bisher. Das gelingt relativ leicht, indem die Frühpensionsvarianten abgeschafft werden – und das ist auch schon weitgehend passiert. Am wichtigsten ist, dass die Hacklerregelung deutlich beschnitten wurde, denn die hat viele frü- here Reformen zunichtegemacht. Ohne diese Variante der Frühpension wäre das österreichische Pensionssystem auf einem guten Weg.

STANDARD: Aber landen nicht viele Menschen, die nicht mehr in Frühpension können, stattdessen am Arbeitsamt? Die Arbeitslosigkeit ist unter Älteren stark gestiegen.

Prinz: Dieses Schicksal trifft als Folge nur einen kleinen Teil, die Mehrheit arbeitet einfach länger – das hat sich in allen Ländern gezeigt. Es ist nicht so, dass ältere Arbeitnehmer häufiger arbeitslos werden als jüngere. Allerdings finden sie sehr viel schwerer wieder in einen Job zurück, sobald sie einmal herausgefallen sind – und da sind wir beim zweiten, weitaus schwieriger zu lösenden Problem. Offensichtlich sind ältere Menschen unattraktiv für den Arbeitsmarkt: weil sie zu teuer sind, weil die nötige Ausbildung und Flexibilität fehlt – vermeintlich oder tatsächlich.

STANDARD: Das heißt: Bei einer künftigen Reform geht es weniger darum, an Schrauben des Pensionssystems zu drehen, als für Beschäftigung zu sorgen?

Prinz: Die Hauptaufgabe liegt jetzt in der Tat am Arbeitsmarkt. Die Sozialpartner müssten Lösungen finden, um die Nachfrage nach Arbeitskräften über 50 Jahren zu erhöhen. Doch das ist bisher nicht wirklich gelungen.

STANDARD: Auf welche Versäumnisse spielen Sie an?

Prinz: Denken Sie an das Bonus-Malus-System, das Unternehmen gemäß ihres Umgangs mit älteren Arbeitnehmern bestrafen oder eben belohnen soll: Die Diskussionen dauern schon sehr lange, ohne dass etwas umgesetzt wurde. Es wäre sehr wichtig, eine Balance zwischen Kosten und Anreizen zu schaffen.

STANDARD: Nun ist zumindest eine Lightvariante vereinbart.

Prinz: Das ist als erster Schritt besser als nichts. Aber Kompromisse wie diese verschieben das Problem in Wahrheit oft nur in die Zukunft. Da zeigt sich wieder die besondere Frühpensionskultur in Österreich: Immer noch kursiert die Hoffnung, so viele ältere Arbeitnehmer wie möglich in die Frühpension zu entlassen, statt sie am Arbeitsmarkt zu halten. Es fehlt der Wille, umzudenken.

STANDARD: Im Fall des Bonus-Malus-Systems bei den Unternehmen.

Prinz: Auch. Generell zeigt sich in allen europäischen Ländern ein prinzipielles Einvernehmen zwischen den beiden Seiten, wenn es um die Ausnutzung der Frühpension geht. Viele Unternehmer wollen junge und damit billige und flexible Arbeitskräfte, viele Arbeitnehmer streben immer noch den ehestmöglichen Ruhestand an.

STANDARD: Was könnten die Sozialpartner dagegen tun?

Prinz: Weiterbildung fördern, und zwar in allen Altersgruppen. Die USA etwa geben für diesen Zweck in Summe zwar weniger Geld aus als europäische Staaten, doch in einem Punkt sind sie Vorbild: Ein 63-Jähriger, der seinen Job verliert, hat gleichen Anspruch auf Weiterbildung wie ein 35-Jähriger. Bei uns ist das undenkbar: Österreichs Unternehmen investieren insgesamt viel in ihre Mitarbeiter, doch ab 45 Jahren ist es mit der Weiterbildung vorbei; das gilt auch für das Arbeitsmarktservice. Es ist kein Wunder, wenn ein 55-Jähriger dann nicht mehr auf dem letzten Stand ist – wer in dem Alter den Job verliert, hat Pech gehabt. Damit sich das ändert, müsste die öffentliche Hand den Unternehmen die Kosten für die Weiterbildung Älterer ersetzen.

STANDARD: Welche Reformen könnte sich Österreich noch abschauen?

Prinz: In Schweden zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einen Fonds ein, der älteren Arbeitnehmern zugutekommt, die ihren Job zu verlieren drohen. Die Weiterbildung wird sofort verfügt, noch während der Kündigungsfrist – und nicht erst nach Monaten der Arbeitslosigkeit. Natürlich müssten im Gegenzug andere Lohnnebenkosten gesenkt werden.

STANDARD: Oft ist aber die fehlende Gesundheit ein Hindernis. Sind Österreichs Arbeitnehmer kränklicher als andere?

Prinz: Nein. In vielerlei Hinsicht sind die Probleme in allen OECD-Staaten ähnlich. Eine Besonderheit gibt es in Österreich aber doch: Die Zahl der unter 50-jährigen Invaliditätspensionisten ist weit unterdurchschnittlich, doch mit dem Alter dreht sich die Situation komplett um – plötzlich liegen wir im Spitzenfeld. Das hat wieder stark mit dieser Frühpensionskultur zu tun. Sobald es jemandem nicht mehr ganz gut geht, gilt der vorzeitige Ruhestand als erster und gesellschaftlich akzeptierter Ausweg. Dass gesundheitlich angeschlagene Arbeitnehmer laut den von der Regierung beschlossenen Reformen nun in Rehabilitation statt in Pension geschickt werden sollen, ist ein richtiger Ansatz, um das zu ändern.

STANDARD: Eine erste Bilanz fällt aber entmutigend aus. Mit Stand Sommer 2015 hatten gerade 90 von 17.500 Rehageld-Beziehern eine Umschulung begonnen.

Prinz: Diese Zwischenbilanz klingt erschreckend. Solche Zahlen sind ein deutliches Indiz, dass die Reform scheitern und der Worst Case eintreten könnte: Menschen werden von einem Sozialsystem in ein anderes verschoben, ohne dass jemand in den Arbeitsmarkt zurückkehrt. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen: Es besteht die Gefahr, dass sich gar nichts ändert.

STANDARD: Woran hakt es?

Prinz: Mir fehlt der Einblick, um das genau beurteilen zu können. Aus Gesprächen mit Mitarbeitern des Arbeitsmarktservice weiß ich aber so viel: Da wurde viel Verantwortung weitergereicht, ohne die nun zuständige Stelle mit den nötigen Mitteln auszustatten. Das AMS wurde auf die neue Aufgabe nicht wirklich vorbereitet. Es hat weder das Geld, das Personal noch das Know-how, um den neuen Klienten erfolgreich zu helfen. Es ist ganz wichtig, schon frühzeitig zu helfen und bereits bei Anzeichen von längeren oder wiederholten Krankenständen zu reagieren. Da sind auch die Krankenversicherer gefordert.

STANDARD: Solange die Probleme am Arbeitsmarkt nicht gelöst sind: Hat eine Pensionsautomatik, die das Antrittsalter an die Lebenserwartung koppelt, da einen Sinn?

Prinz: Leider ja. Man muss das Problem von allen Seiten angehen. Die Pensionsautomatik würde eine plausible Antwort auf die demografische Entwicklung geben. Zwei Drittel aller OECD-Länder haben so eine Automatik in der einen oder anderen Form.

STANDARD: Das Gegenargument lautet: Solange es die Jobs nicht gibt, läuft ein höheres Antrittsalter auf eine Pensionskürzung hinaus.

Prinz: Eine Gruppe wird aus dem Arbeitsmarkt fallen – und um die müssen wir uns, wie gesagt, viel stärker und sehr viel rascher kümmern. Der Haupteffekt einer Automatik aber wäre, dass die Leute im Schnitt länger arbeiten. Und das ist natürlich sinnvoll. (Gerald John, 7.1.2016)