Vor einiger Zeit sagte Justizminister Wolfgang Brandstetter, er wolle nicht gemeinsamer Kandidat der Regierungsparteien für das Amt des Bundespräsidenten werden. Der Vorschlag stammte vom ehemaligen ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein und wäre von den Parteiverantwortlichen vermutlich ohnehin nicht akzeptiert worden. Aber der Gedanke eines einzigen Kandidaten oder einer Kandidatin, nominiert von ÖVP und SPÖ, hat seinen Reiz.

Essenz der österreichischen Werte und Traditionen

Der Bundespräsident muss, einmal gewählt, der Präsident aller Österreicher sein. Das heißt nicht, dass er politisch neutral oder gar farblos zu sein hat, aber er steht für das, was allen gemeinsam ist. Er soll gleichsam das Beste an Österreich, die Essenz seiner Werte und seiner Traditionen in seiner Person verkörpern. Und das ist eine ganze Menge: Sozialstaat und Sozialpartnerschaft, Bodenständigkeit und Weltoffenheit, Kompromissbereitschaft und Integrität. Die besten unserer Bundespräsidenten haben das geschafft, am exemplarischsten vielleicht Rudolf Kirchschläger, parteilos, praktizierender Katholik, aufgestellt von der SPÖ unter Bruno Kreisky. Und auch Heinz Fischer, zeitlebens überzeugter Sozialdemokrat, ist im Laufe der Jahre auch von Nichtsozialdemokraten als "unser Präsident" akzeptiert worden.

Bei der kommenden Wahl sollen Erwin Pröll für die ÖVP und Rudolf Hundstorfer für die SPÖ ins Rennen gehen. Beide sind honorige Leute, aber Pröll ist bis auf die Knochen ein Schwarzer, und Hundstorfer ist dasselbe in Rot. Es steht uns also ein Wahlkampf zwischen Schwarz und Rot ins Haus, just zu einer Zeit, in der die große Koalition ziemlich angeschlagen ist und eigentlich alle Kraft zur Abwehr der FPÖ brauchen würde, einer Partei, die das Gegenteil der bisher gültigen österreichischen Werte symbolisiert. Grabenkämpfe zwischen Rot und Schwarz haben die Leute jetzt schon satt. Sollen sie nun einen ganzen Wahlkampf beherrschen? Und ist die SPÖ gut beraten, einen guten Sozialminister in eine Schlacht mit zweifelhaftem Ausgang zu schicken?

Für politische Parteien scheint es eine Frage des Prestiges und des Selbstbewusstseins zu sein, für das höchste Amt im Staat einen eigenen Kandidaten zu nominieren. Nach dieser Lesart gibt eine Partei, die das nicht tut, sich selber auf und gibt gleichzeitig zu, dass sie keine geeigneten Leute hat. Und natürlich will man den Eindruck vermeiden, dass es zwischen ÖVP und SPÖ keine nennenswerten Unterschiede gibt und "die da oben" ein einziges Machtkartell sind. Parteisekretariate arbeiten also fleißig daran, das eigene Profil zu schärfen und ideologische Unterschiede deutlich zu machen. Das ist auch legitim und gut so. Aber die Bundespräsidentenwahl ist dazu kaum das geeignete Instrument.

Eine Kandidatin für beide Regierungsparteien

Irmgard Griss wäre gern als Kandidatin beider Regierungsparteien angetreten und hat sich von beiden eine Abfuhr geholt. Alexander Van der Bellen soll für die Grünen kandidieren. Nicht wenige würden sich jemanden wie ihn als Österreich-Kandidaten wünschen, in dem sich Christdemokraten, Sozialdemokraten, Grüne und Liberale wiederfinden könnten. Aber das ist wohl Wunschdenken, das in der österreichischen politischen Realität keine Chance hat. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 6.1.2016)