Für Frankreich war 2015 ein schreckliches Jahr. 147 zumeist junge Menschen ließen ihr Leben, und zwar durch die Hand anderer junger Franzosen. Präsident François Hollande gibt sich betont martialisch – von Syrien über den westafrikanischen Sahel bis nach Frankreich selbst, wo weiterhin der Ausnahmezustand gilt und Polizisten Wohnungen durchsuchen können, ohne die Ermächtigung eines Richters einzuholen.

Das Problem dabei ist, dass die tieferen Gründe, die Frankreich dermaßen ins Visier des Terrors gerückt haben, dadurch keineswegs beseitigt werden. Man spürt derzeit vonseiten der Regierung wie der politischen Opposition keinerlei Willen, sich wirklich jener Banlieue-Ghettos anzunehmen, die bereits mehr als tausend Syrien-Kämpfer und Dutzende von Terroristen generiert haben.

Wo die Jugendarbeitslosigkeit 40 Prozent beträgt, haben Salafisten leichte Ernte. Auch in französischen Exkolonien wie Mali, die religionspolitisch auf der Kante stehen, vergisst Hollande jede politische Ursachenbekämpfung, nachdem er die Islamisten mit militärischen Mitteln aus dem Land gejagt hat. Da braut sich neue Gefahr zusammen. Der Demograf Emmanuel Todd nennt Frankreich unverblümt eine "Jihad-Fabrik". Solange darauf keine gesellschafts- und wirtschaftspolitische Antwort gefunden ist, bleibt jede noch so harte Polizeiarbeit reine Sisyphusarbeit. Und 2015 nicht das letzte Annus horribilis für Frankreich. (Stefan Brändle, 6.1.2016)