Alexander Van der Bellen kündigte seine Kandidatur für die Hofburg multimedial an: Youtube-Video, Twitter-Account, Facebook-Auftritt, ganz professionell und modern eben, wie sich das für einen 71-jährigen Professor gehört. Den echten Van der Bellen wird es dann am Sonntag geben, zuerst die Pressekonferenz, dann die Interviews. "Mutig in die neuen Zeiten", ist das Motto des ehemaligen Bundessprechers der Grünen, der mit seinem Wahlkampfauftritt den Eindruck zu erwecken sucht, er sei ein parteiunabhängiger Kandidat und nicht der Kandidat seiner Partei, der Grünen.

Tatsächlich hat Van der Bellen als erster Kandidat, der nicht aus den Reihen der fast ewig währenden rot-schwarzen Koalition kommt, gute und reale Chancen, Bundespräsident zu werden – mehr noch als Irmgard Griss, deren Bekanntheitsgrad auf ein interessiertes, spezialisiertes Publikum beschränkt ist. Das sei einmal gesagt, ohne noch zu wissen, wer die Kandidaten von SPÖ, ÖVP und FPÖ sein werden.

Van der Bellen hat hohe Sympathiewerte, man kennt, mag und schätzt den grünen Professor in einer breiten Bevölkerungsschicht. Ein bedachter, ruhiger, nachdenklicher und auch unkonventioneller Kandidat, der für mehr als nur die Grünen steht. Van der Bellen kann ein breites Publikum links der Mitte bis tief hinein in eine bürgerliche, auch konservative Gesellschaft ansprechen. Am wenigsten wird er bei FPÖ-Sympathisanten punkten, hier wird er wohl selbst eine scharfe Abgrenzung ziehen. Aber für SPÖ- und ÖVP-Sympathisanten ist er sicher wählbar.

Dass er so lange brauchte, bis er sich zu einer Kandidatur entschloss, spricht nicht unbedingt für seine Motivation, und tatsächlich kann man sich gut vorstellen, dass ihm weder der Ausblick auf einen strapaziösen Wahlkampf noch das Repräsentieren in der Hofburg als besonders verlockend erschienen. Seine Lebensplanung war mit Sicherheit eine andere, aber der Druck der Grünen und die Schmeichelei eines möglichen Erfolgs waren dann offenbar doch stärker.

Dass VdB als parteiunabhängiger Kandidat antritt, ist nur bedingt glaubhaft, das grüne Mäntelchen wird er nicht abstreifen können. Soll er auch nicht, er war mehr als zehn Jahre lang Chef der Grünen, das zu leugnen wäre ein Verrat an den eigenen Ideen und Grundsätzen. Wichtig wird sein, die Finanzierung des Wahlkampfs bedingungslos offenzulegen, Transparenz war immer eine der eindringlichsten Forderungen der Grünen. Das muss auch für einen "unabhängigen" Kandidaten aus deren Mitte gelten. (Michael Völker, 8.1.2016)