Der Berliner Prater wurde ab 1869 zu einer Vergnügungsgaststätte ausgebaut. In der Arbeiterschaft auch als Varieté, Volkstheater, Ballsaal, Kino und politischer Versammlungsort beliebt – auch in der DDR. 1991 wurde er geschlossen.

Foto: Michael Schroedter

Jene Viertel, die Berlin für Kreative und Alternative, Lebenskünstler und Touristen so attraktiv machen, dürfte es laut dem ersten Westberliner "Stadterneuerungsprogramm" von 1962 gar nicht mehr geben. Getrieben von den Dogmen der Nachkriegsmoderne und den Begehrlichkeiten der Wohnbauindustrie, drängten Politik und Verwaltung auf den flächenhaften Abriss der gründerzeitlichen Bebauung und eine großmaßstäbliche Neuplanung.

56.000 Wohnungen und unzählige Gewerbe-, Handels- und Gastronomiebetriebe sollten allein in Phase eins geschleift werden, um in gut erschlossenen Lagen monofunktionale, aber teure Wohnkomplexe zu errichten – oder auch, um Platz für eine Autobahntrasse zu schaffen, die in der geteilten Stadt keinerlei Sinn gehabt hätte.

Schon bald rührten sich Proteste gegen die brachiale Umstrukturierung. Der Architekt Werner March und die Soziologin Ilse Balg veröffentlichten 1965 mit ihrem Gutachten über den Umbruch in Berlin-Kreuzberg einen "Anstoß zur Verbreiterung des Widerstandes", der von der aufkommenden Studentenbewegung bereitwillig aufgegriffen wurde und bald zu ersten Besetzungen leergeräumter Altbauten führte.

Mafiaähnliche Methoden

In großem Stil hatten Wohnbauunternehmen ganze Häuserblöcke aufgekauft und ihren Niedergang mit mafiaähnlichen Methoden forciert: Es wurden Dächer abgedeckt und Stiegenhausfenster herausgerissen, sodass es in die Gebäude regnete und schneite. Eigens dafür engagierte Männer gingen regelmäßig in die Häuser, um in die Flure zu pinkeln. Immer mehr Bewohner ließen sich auf diese Weise zum Auszug drängen.

Dementsprechend wuchs der Zorn gegen die vorsätzliche Stadtverwüstung: 1979 waren allein im Bezirk Kreuzberg über 80 entmietete Häuser "instandbesetzt", also von der linken Szene widerrechtlich in Besitz genommen und in Eigenregie vor dem Verfall bewahrt worden. In manchen Fällen wurden die Besetzungen vom Senat geduldet, in anderen wiederum kam es zu Zwangsräumungen, was wiederum Demonstrationen auslöste. Teils eskalierten diese in mehrtägigen Straßenschlachten mit der Exekutive. 1981 starb sogar ein 18-jähriger Demonstrant bei einem Polizeieinsatz.

Zu diesem Zeitpunkt war die 1979 ins Leben gerufene Internationale Bauausstellung (IBA) bereits voll im Gange. Die ursprüngliche Vorstellung der Politik, im Zuge der IBA 1500 Wohnungen zu sanieren und weitere 1500 Wohnungen abzureißen und neu zu errichten, gelangte in der Form freilich nicht mehr zur Umsetzung – wie dies die Stadtplanerinnen Elfi Czaika und Christina Lindemann in ihrem jüngst erschienenen Buch "Eine Stadt verändert sich" anschaulich dokumentieren: Anstatt die Stadt gegen den Willen der Bevölkerung zu modernisieren, wurde der auf Neubau ausgerichteten IBA die sogenannte "IBA Alt" zur Seite gestellt – und der streitbare Architekt Hardt-Waltherr Hämer mit deren Leitung betraut.

Die Baustelle Kreuzberg

"Als Erstes war es notwendig, das Vertrauen der Bewohner zu gewinnen, für die wir anfangs als Repräsentanten von Politik und Bauwirtschaft galten", schilderte der 2012 verstorbene Stadterneuerungspionier die Anfänge. "Dies gelang nur, indem wir Architekten selbst mit Hand anlegten, um devastierte Häuser mit Plastikplanen und Holzlatten notdürftig winterfest zu machen." In Tausenden von Mieterversammlungen wurden die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen Haus für Haus ausgelotet. Oft blieben diese unter den von der Verwaltung vorgegebenen Standards, wenn die Mieter nur so die Erneuerung ihrer Wohnungen akzeptieren und finanziell mittragen konnten.

Durch derartigen Pragmatismus konnte die IBA ihren Sanierungsauftrag bis Ende der 1980er-Jahre mehr als übererfüllen: In zehn Jahren wurden in Kreuzberg rund 10.000 Wohnungen behutsam saniert, davon mehr als 700 in Selbsthilfe, es wurden 22 Kindergärten, zehn Schulen und zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen geschaffen sowie über 180 Höfe begrünt – oft gegen alle baurechtlichen Vorgaben. Von den besetzten Häusern wurde ein Großteil durch Miet- oder Kaufverträge den vormals illegalen Bewohnern überantwortet.

Als die Baustelle Kreuzberg abgeschlossen war, taten sich durch den Zusammenbruch der DDR im Osten der nun nicht mehr geteilten Stadt gleich die nächsten auf. Allein am Prenzlauer Berg wartete mit 31.000 erneuerungsbedürftigen Wohnungen das dreifache Volumen der ganzen IBA auf die Berliner Stadterneuerung – und dies war nur eines von 18 Sanierungsgebieten.

Nachdem sich die öffentlichen Mittel im wiedervereinten Deutschland zusehends verringerten, wurde die Renovierung des Althausbestands ab dem Jahr 2000 nur noch durch die Möglichkeit von Steuerabschreibungen unterstützt – was auf potente Hauseigentümer abzielte und nicht mehr auf finanzschwache Altmieter. So ist am "Prenzlberg" nach Sanierung und Aufwertung von 20.000 Wohnungen der Wandel der Bevölkerungsstruktur unübersehbar: Der einstige Arbeiterbezirk ist binnen kurzer Zeit zum gentrifizierten Szeneviertel avanciert – was jedoch weniger der Stadterneuerung anzulasten ist als einer unzureichenden Wohnungspolitik.

Nun der Prenzlauer Berg

Obwohl Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse mittlerweile auch in anderen gründerzeitlichen Stadtteilen zu beobachten sind – sei es in Friedrichshain, sei es im kürzlich noch als Problemkiez geltenden Neukölln -, kann die Berliner Stadterneuerung auch in der zweiten Generation noch als modellhaft bezeichnet werden. So ist aus der öffentlichen Finanznot eine völlig neue Stadterneuerungskultur entstanden, die das Selbsthilfepotenzial der Bevölkerung entfacht hat. Zudem erwies es sich als Erfolg, die knappen Mittel im öffentlichen Raum sowie in Freizeit- und Kulturprojekten zu bündeln. Diese Maßnahmen sind nicht nur Auslöser für private Investitionen, sondern auch Basis einer neuen städtischen Lebensqualität.

Ein solches Projekt steht nun am Prenzlauer Berg vor seiner Realisierung: Der Berliner Prater, der älteste Biergarten der Spree-Metropole, wurde ab 1869 nach Vorbild des namensgebenden Wiener Praters zu einer Freizeit- und Vergnügungsgaststätte ausgebaut. In der Arbeiterschaft war der Garten mit seinen Ausflugslokalen auch als Varieté, Volkstheater, Ballsaal, Kino und politischer Versammlungsort beliebt – auch zu DDR-Zeiten. 1991 wurde er indes geschlossen.

Denkmalgerechte Erneuerung

"Eine erste notdürftige Sanierung Mitte der Neunzigerjahre erlaubte zumindest, den Biergarten wieder zu öffnen", erklären die Stadtplanerinnen und Buchautorinnen Elfi Czaika und Christina Lindemann, "und ermöglichte Zwischennutzungen, etwa durch die Berliner Volksbühne." Eine umfassende Renovierung ab 2010 wurde allerdings durch Restitutionsansprüche um ganze fünf Jahre verzögert. Nach Klärung der Eigentumsverhältnisse kann die denkmalgerechte Erneuerung der Anlage nun endlich starten.

Die Berliner Volksbühne wird im Prater endgültig einen zweiten Spielort bekommen, und auch der Fortbestand einer der letzten kommunalen Galerien ist gesichert. Diese und noch andere Nutzungen sollen sicherstellen, dass der Prater trotz der sozialen Veränderungen im Umfeld das bleibt, was er immer war: ein tatsächlich öffentlicher Ort, zugänglich und leistbar für alle Schichten der Bevölkerung. (Reinhard Seiß, 9.1.2016)