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Die Abgeordneten des ägyptischen Parlaments sind am Sonntag das erste mal seit dreieinhalb Jahren wieder zusammengekommen.

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Kairo/Wien – Ägypten hat seit Sonntag nach gut dreieinhalb Jahren wieder ein Abgeordnetenhaus: Das nach dem Sturz von Präsident Hosni Mubarak im Februar 2011 im darauffolgenden Winter 2011/2012 gewählte war ja bereits im Juni 2012 vom Verfassungsgericht aufgelöst worden. Das geschah genau zwischen dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen und den Stichwahlen, die den Muslimbruder Mohammed Morsi zum Präsident machten.

Nachdem Morsi seinerseits im Juli 2013 entmachtet wurde, hat es demnach zweieinhalb Jahre gedauert, bis Ägypter und Ägypterinnen wieder ihre Volksvertretung bekamen – oder zumindest jene, die mit dem Sturz Morsis einverstanden waren.

Denn das ägyptische Parlament ist fest in den Händen der Anhänger von Präsident Abdelfattah al-Sisi. Es besteht aus 448 Abgeordneten, die als "Unabhängige" hineinkamen, weiters 120 auf Parteilisten und 28 durch den Präsidenten Ernannte (wobei die Frauenquote der Sisi-Ernennungen besonders hoch ist). Al-Ahram zitierte den Koordinator des Pro-Sisi-Blocks, Sameh Seif al-Yazal, mit den Worten, dass dieser auf 370 Parlamentarier zählen könne. Das ist locker eine absolute und fast eine Zweidrittelmehrheit.

Probleme mit dem Amtseid

Dass für manche damit noch immer nicht genügend ägyptische Normalität wiederhergestellt ist, zeigte eine Episode, die am Sonntag den Verlauf der ersten (sich vielleicht über zwei Tage erstreckenden) Sitzung, in der der Parlamentspräsident und seine Stellvertreter gewählt werden sollten, verzögerte. Der Abgeordnete Mortada Mansur musste erst von erzürnten Kollegen – und vom Ehrenpräsident des Parlaments, Bahaeddin Abu Shuka, der mit Abbruch der Session drohte – dazu überredet werden, den Amtseid so abzulegen, wie er vorgesehen ist: Mansur weigerte sich, sich zur Einhaltung der Verfassung zu verpflichten und sagte stattdessen nur "Artikel der Verfassung".

Damit wollte er dagegen protestieren, dass in der Verfassung die Erhebung vor fünf Jahren, die Mubarak zum Sturz brachte, als "Revolution" bezeichnet und gewürdigt wird. Die neue Verfassung ist rechtlich eine (starke) Novellierung der Verfassung, die von Morsi 2012 durchgedrückt wurde.

Ali Abdel Al, einer der Verfassungsrechtler, die sie ausarbeiteten, war der aussichtsreichste Kandidat für den Parlamentsvorsitz. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der neue Präsident einem Parlament vorsitzen wird, das die Verfassung wieder ändert: zugunsten eines stärkeren Staatspräsidenten, also Sisis. Die Verfassung von 2013 hatte die zweite Parlamentskammer abgeschafft und die erste, das Abgeordnetenhaus, gegenüber der Präsidentschaft gestärkt.

Das neue Parlament wird viel zu tun haben: Es muss erst einmal die seit 2015 per Dekret erlassenen Gesetze abfertigen. Mit einem lebendigen Parlamentarismus rechnet aber – bei der Abwesenheit von ganzen Sektoren der Gesellschaft, der Muslimbrüder, aber auch der liberalen Sisi-Gegner – ohnehin niemand. Was sich die Menschen wünschen, ist wirtschaftlicher Aufschwung und Sicherheit – in Zeiten des Terrorismus schwer zu erfüllende Hoffnungen. (Gudrun Harrer, 10.1.2016)