Wenn die Wintersonne mittags all ihre Kräfte bündelt, fällt die ganze Insel in einen Dornröschenschlaf. Die Rolläden der Geschäfte sind heruntergelassen, die Gozitaner sitzen vor ihren Häusern und dösen unter Markisen. Auch die Tiere suchen im Schatten Zuflucht. Auf dem Landgut Ta’ Mena Estate versteckt sich ein Hendl im Heuhaufen, die Gans hat es sich unter einem Rebstock bequem gemacht. "So muss natürliche Landwirtschaft sein!", sagt Bauer Joseph Spiteri "Unsere Tiere laufen hier frei herum", sagt er während ein paar Perlhühner gackernd über den Hof rennen und nicht recht wissen, wo sie eigentlich hinwollen. Spiteri nimmt ein meckerndes Zicklein in den Arm, das die kleine Welt um den Stall herum erkundet und sich dabei verklettert hat.

Die Mgarr ix-Xini-Bucht auf der Insel Gozo war früher Galeerenhafen für den Malterserorden und zuletzt ein Stück Südfrankreich für den Film "By the Sea".
Foto: viewingmalta.com/Jürgen Scicluna

"Wir legen großen Wert auf nachhaltige Landwirtschaft, aber es ist harte Arbeit. Besonders die Weinreben brauchen viel Pflege" sagt er, rupft dabei ein Blatt mit Schädlingen heraus und gibt es der Ziege zu fressen. Das Stückchen Land auf Maltas kleinerer Nachbarinsel Gozo hat er von seiner Mutter Carmen geerbt, einer Pionierin des Agrotourismus im maltesischen Archipel. Es liegt im malerischen Marsalforn-Tal mit Panoramablick auf die Zitadelle, das Wahrzeichen Gozos, und die umliegenden Hügel und Dörfer.

Unendlich viel Haschisch

Auf 25 Hektar gedeihen vierzehn unterschiedliche Rebsorten Wein, wachsen 1.500 Olivenbäume sowie Erdbeeren, Pfirsiche, Orangen – und es gibt unendlich viel "Haschisch". So heißt Gemüse auf maltesisch, geschrieben wird es "Haxix": Zwiebeln, Erbsen, Bohnen, Zucchini, Auberginen, Paprika und Tomaten gedeihen prächtig, Gozo ist die "Gemüseabteilung" der maltesischen Inseln. Aus den Felsritzen sickert Quellwasser und der lehmhaltige Boden speichert es gut, deshalb ist die Insel grüner und fruchtbarer als die kalksteinige Schwester Malta.

Foto: viewingmalta.com/Cilve Vella

Ab Hof verkauft die Familie Bio-Gemüse und -Obst, kalt gepresstes Olivenöl und selbst gemachte Marmelade. Oberhalb der Landwirtschaft in den Hügeln hat Spiteri kleine Häuser für Urlauber gebaut. Das Meer und der Sandstrand Ramla Bay sind gerade mal zehn Autominuten entfernt.

Felsenfenster, Fungus Rock

Wer auf Gozo ein Auto mietet, bekommt immer einen Jeep. Damit rumpelt man über schlagloch-gespickten Asphalt, vorbei an Trockenmauern, durch kleine Dörfer mit überdimensionierten Kathedralen und Wohnhäusern mit hellen Kalksteinfassaden und hübsch gedrechselten Balkongeländern. Die größte Attraktion hat aber die Natur geschaffen: den 20 Meter hohen vom Meer umtosten Felsen mit einem erodierten Torbogen, das "Blaue Fenster". Gleich daneben thront Fungus Rock. Auf dem Felsen wächst eine schwammartige Pflanze. Die Johanniterritter im 16. Jahrhundert glaubten, dass sie Wunden heilt und bewachten den Felsen streng. Unbefugter Zutritt soll mit dem Tod bestraft worden sein, doch die Wirksamkeit der Pflanze ist bis heute nicht belegt.

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Fungus Rock
Foto: REUTERS/Darrin Zammit Lupi

Einige Felsen und Kathedralen weiter erreicht man die ältesten freistehenden Gebäude der Welt – oder besser: das was davon übrig ist. Der berühmte Ggantija-Tempel wurde vor etwa 5.500 Jahren gebaut. Einer Legende nach stemmte die Riesin Sansuna die tonnenschweren Felsblöcke für den Bau. Ihre unglaubliche Kraft verlieh ihr die gesunde Kost. Sie ernährte sich ausschließlich von einer Sorte Haxix: getrocknete und gemahlene Saubohnen.

Das weiße Gold Gozos

Vor rund 7.000 Jahren kamen die ersten Bauern aus Sizilien nach Gozo. Später sollen es die Römer gewesen sein, die im Norden der Insel bei Qbajjar flache Becken zur Salzgewinnung in den Fels meißelten. Noch heute türmt sich dort das weiße Gold Gozos. Doch an manchen Tagen glitzert einfach nur das Meerwasser in den Steinbecken. Erst wenn es zur Gänze verdunstet ist, kehrt Emmanuel Cini das übriggebliebene Salz zusammen. Er ist einer der letzten Salzbauern auf der Insel.

"Meine Passion. Andere gehen fischen, ich mache Salz.", sagt der agile 73-jährige Cini mit wettergegerbter Haut. Seit fünf Generationen erntet die Familie Meersalz auf traditionelle Weise mit Rechen und Besen. Ist die Saison gut, kommen dabei bis zu 30 Tonnen zusammen. Oberhalb der Pfannen hat er sich in einer Felshöhle ein Lager eingerichtet, dort stehen die schweren Säcke.

Bast und Bambus

"Früher kam ein Transportesel vorbei, der das Salz von dort in die nächsten Ortschaften brachte", erinnert er sich. Dann zeigt er ein altes Foto her, auf dem die ganze Familie zu sehen ist. "Damals hatten wir statt Plastikeimern noch solche aus Bast, und die Besen waren aus Bambus". Aber man müsse mit der Zeit gehen, findet er.

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Das "Blaue Fenster" ist eines der Wahrzeichen der Insel.
Foto: REUTERS/Darrin Zammit Lupi

Mittlerweile liefert er sein Salz direkt an Restaurants und Geschäfte auf der Insel. Seine Tochter Josephine verkauft es zudem in kleine Jutesäckchen abgepackt direkt am Straßenrand als Souvenir. "Salz macht schön und stark", sagt die Frau und lacht.

Oberhalb der Salzpfannen führen Wanderungen an der Küste entlang, durch Mohn- und Margeritenfelder, vorbei an duftendem Fenchel und an Feigenkakteen. Es lohnt sich, hin und wieder einen Stopp einzulegen und auf einem der abzweigenden Pfade in idyllische Badebuchten zu wandern. Eine davon liegt am Ende der Mgarr-ix-Xini-Schlucht, die sich vom Meer 400 Meter ins Landesinnere schlängelt und dann in einen zwei Kilometer langen Canyon übergeht. Fernab von den Urlaubermassen baden hier meist nur ein paar Einheimische, und Taucher versuchen im Riff Seepferdchen oder Skorpionfische zu entdecken.

Schützende Felsen im Fjord

Die Felswände dieses Fjords stehen so eng beieinander, dass Kapitäne hier früher oft Schutz vor Stürmen suchten. Einst war hier auch der Galeerenhafen für die Flotte des Malteserordens untergebracht. Aus dieser Zeit stammt noch der Wachturm aus dem 17. Jahrhundert, der am Ende der Bucht in den Himmel ragt.

Oberhalb des kleinen Strandes hat Noel Vella bunt gestrichene Stühle aufgestellt. Er betreibt dort ein Geschäft mit dem Charme einer alten Greißlerei, in der er Eis mit gozitanischer Gelassenheit verkauft. Diese innere Ruhe besaß er schon als Teenager und wurde dafür von seinen Freunden "RewRew" genannt. Das steht für "Rewind", also die Rückspultaste auf einem Kassettenrecorder, weil er mit denselben Tätigkeiten immer wieder vor vorne begann. "Man muss das Leben gemächlich angehen und vieles nehmen, wie es kommt", sagt er.

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Salzpfannen, die einst die Römer anlegten.
Foto: REUTERS/Darrin Zammit Lupi

Das war auch nötig, als Angelina Jolie und Brad Pitt bei ihm vorbeischauten, um ein paar Szenen für den Film "By the Sea" zu drehen. Dafür ließen die beiden sein Geschäft komplett umkrempeln. Jetzt sind die Wände grün und orange gestrichen, wenigstens haben sie ihm neue Regale dagelassen. In einem steht eine Fotografie von Angelina Jolie mit Autogramm. "Sie ist so sexy" schwärmt er "und Brad Pitt war wirklich nett".

Sexy Angelina, netter Brad

Für den Film hat die Crew in die Klippen ein ganze Hotelkulisse gebaut und sie danach wieder abgerissen. Es ist die Geschichte einer Ehefrau, die ihre Depressionen im romantischen Hotel mit Tabletten betäubt, während Brad Pitt als Schriftsteller eine Schreibblockade mit Alkohol bekämpft. Eigentlich spielt "By the Sea" im Südfrankreich der 1970er-Jahre. Dort war an einen Dreh angesichts der Heerscharen an Touristen nicht zu denken. Das Filmteam suchte nach einer passenden Alternative – und fand sie auf Gozo.

Während der Dreharbeiten hat Noel sein Geschäft schließen müssen und kurzerhand drei Monate Urlaub in Berlin gemacht. Gut möglich, dass er in Zukunft durch den Film mehr Gäste hat. Aber Massentourismus wird es dort wohl nicht so schnell geben. Dafür ist der Strand viel zu klein und ein Reisebus würde den Weg vorbei an so vielen Schlaglöcher auch nicht so leicht finden. (Monika Hippe, 19.1.2016)