Wien – Was interessiert mehr – die Werke oder die interpretatorischen Zugänge? Was sollte wichtiger genommen werden, wenn mäßige Werke prächtig gespielt werden? Das Programm des RSO Wien war geeignet, derartige Fragen anzustoßen: So ist Mieczyslaw Weinbergs Suite Nr. 4 (Ballett: Der goldene Schlüssel) ein Reigen charakteristischer Szenen, glänzend gearbeitet, hinsichtlich seiner Gedankenfülle jedoch von begrenzter Originalität: Den grotesken Tonfall, ironischen Neoklassizismus, elegische Melodik – all das beherrschte Weinberg. Er blieb jedoch meist in vorhersehbaren Mustern.

Beim Klavierkonzert des jungen Alexander Skrjabin liegen die Dinge eher umgekehrt: Obwohl er noch sehr an klassisch-romantischen Formen haftet, sind die drei Sätze voller inspirierter Einfälle. Die Orchestrierung bleibt dagegen zuweilen flach. Solistin Anika Vavic gab ihrem Part freilich mit aller Verve konturierte Präsenz, nicht vordergründig brillant, doch mit Energie und einem vollen, sämigen Ton, der auch ihre Zugabe – die "Fragilité" aus Skrjabins Vier Stücken op. 51 – durchdrang. Es gilt aber, über die Hauptperson des Abends zu sprechen, Mirga Grazinyte-Tyla (Sieg beim Salzburg Festival Young Conductors Award 2012; seit dieser Saison als Musikdirektorin am Salzburger Landestheater).

Sie gab noch den unspektakulärsten Gestalten Weinbergs einen goldenen Schliff, stets pointiert, voller Energie und Tiefenschärfe. Und auch die langatmige Lemminkäinen-Suite von Jean Sibelius vergoldete sie mit einer klanglichen Imaginationskraft, die ans Geniale grenzt. Kaum je war der Orchesterklang des RSO derart luxuriös und leuchtend wie an diesem Abend – allein darin zeigte sich die auch physisch durchgehend hochaktive Dirigentin als meisterhaft. (Daniel Ender, 17.1.2016)