Nach der Begrüßung durch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (links) ging es für Beata Szydło zur Aussprache mit den Abgeordneten.

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"Ich bin hier, weil ich den Dialog mit Ihnen aufnehmen und Bedenken ausräumen will" – mit dieser Grundposition stellte sich die polnische Premierministerin Beata Szydło am Dienstagnachmittag im Europäischen Parlament in Straßburg einer Debatte mit den Abgeordneten. Polen sei eine einwandfrei funktionierende Demokratie: Die Vorwürfe, ihre Regierung habe bei der Besetzung von Höchstrichtern und von Direktoren im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die in den EU-Verträgen garantierten Grundrechte und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verletzt, seien unzutreffend.

Es habe zu keiner Zeit eine Verletzung der Verfassung gegeben, versicherte Szydło. Die Kritik der EU-Partner gegen ihre Regierung habe sie "mit Schmerz" zur Kenntnis genommen, sie würde aber auf Desinformationen oder Böswilligkeit beruhen.

Prüfverfahren

Seit dem Antreten der nationalkonservativen Regierung in Warschau Ende 2015 war sie in die Kritik von EU-Politikern und Partnerregierungen gekommen. Die EU-Kommission hat vergangene Woche ein Prüfverfahren wegen des Verdachts von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit eingeleitet, das – theoretisch – zum Verlust der Stimmrechte Polens in EU-Räten führen könnte.

Dazu soll es aber nach dem Willen der Kommission nicht kommen. Sie will die Angelegenheit "im strukturierten Dialog" lösen, wie der für Grundrechte zuständige Vizepräsident Frans Timmermans erklärte. Es sei aber klar: "Bei der Rechtsstaatlichkeit gibt es kein Verstecken hinter der Nationalität." Alle Regierungen der Mitgliedsländer müssten sich an das Recht, an die gemeinsamen Verträge halten – und die Beurteilung durch Kommission, EU-Parlament und den Europäischen Gerichtshof (EuGH) akzeptieren.

Absolute Mehrheit

Die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) verfügt im Sejm über die absolute Mehrheit. Sie kann viele Gesetze nach Belieben beschließen. Angesichts der Empörung, die vor allem durch das direkte Eingreifen in das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen rasch wuchs, was zu Demonstrationen führte, stieg auch der Diskussions- und Korrekturbedarf in den EU-Institutionen an. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz lud Szydło daher nach Straßburg zur offenen Aussprache ein, so wie er das bereits mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán getan hatte.

Die Abgeordneten nützten den Austausch reichlich, es hagelte harte Worte, scharfe Argumente, aber der Ton blieb sachlich. Szydłos Argumentation stützte sich darauf, dass ihre Regierung lediglich den Willen der Wähler umsetze. Die Regierung habe nur "Fehler" der Vorgänger korrigiert. Diese hätten im Höchstgericht 14 von 15 Posten besetzt.

Wie schon im Fall Ungarns könnte die Strategie der offenen Aussprache in Straßburg eine Wende einläuten. Orbán hatte Einwände der Kommission berücksichtigt und Gesetzesänderungen vorgenommen. Polen ist ein heikleres Problem für die EU-Institutionen, weil das mittelgroße Land mit 40 Millionen Einwohnern einiges Gewicht in der Gemeinschaft hat. Es ist ein strategischer Partner für Deutschland und zudem auch ein Schlüsselland für die Nato. Szydło sagte zu, dass sie mit der Kommission alle Probleme im Dialog besprechen werde – ließ aber offen, ob sie deren Empfehlung akzeptieren wird. (Thomas Mayer aus Straßburg, 19.1.2016)