Eine halbe Stunde nach Einbruch der Dunkelheit sind nur noch die Träumer am Strand. Die, die im Stillen auf einer Liege oder im warmen Sand sitzen, auf den hellen Mond schauen, auf die Sterne warten – und darauf, dass das Burj al-Arab in 400 Metern Entfernung im Minutentakt die Farbe der beleuchteten Teflonfassade zu wechseln beginnt. Darauf, dass sie erst in Orange, später in Violett und bald in Grün erstrahlt. Die anderen, die hier den Tag in der Sonne verbracht haben, sind bereits gegangen – dorthin, wo jetzt das Leben spielt: in die Bars mit der lauten Musik, die Lounges mit den chilligen Klängen, die Restaurants mit und ohne Bauchtänzerin 150 Meter weiter in den Hotels.

Jumeirah Beach in Dubai ist nur ein wenige Kilometer langer Küstenstreifen einer Wüstenlandschaft, die nahtlos in den Arabischen Golf übergeht. Erst ikonische Hotels machten den Ort zum Urlaubsziel.
Foto: Helge Sobik

Ein Vater hockt an diesem Abend noch auf den Knien neben seinem kleinen Sohn ganz vorne im Sand nur haarscharf außerhalb der Reichweite der sanften Wellen des Persischen Golfs. Sie bauen keine Burgen mehr wie früher, sie bauen Türme ganz inspiriert von der Umgebung. Im Sand. Aus Sand. Verziert mit Steinchen und Muschelschalen. Und der Kleine ist offenbar der Ansicht gewesen, dass sein neuester Tower nicht termingerecht zu Sonnenuntergang vollendet war und arbeitet nun bei Dunkelheit weiter – wie es sich für Dubai, für eine Boom-Stadt wie diese gehört.

Quartier für Zugereiste

Es ist der Strand, an dem alles begann. Der Strand, an dem das erste Küstenhotel Dubais stand. Chicago Beach hieß es, war anfangs vor allem Quartier für Zugereiste, die mit der Offshore-Ölindustrie zu tun hatten – und lag damals noch etwa zwanzig Kilometer außerhalb des Stadtzentrums im Nichts: als scheinbar sinnfreier Fixpunkt an einer wie willkürlich gewählten Stelle, wo die Wüste auf den Golf traf. Dort, wo die Begriffe verschwammen: Die letzten zweihundert Meter Wüste bis zum Saum der Wellen nannten Fremde, die es hierher verschlug, "Strand". Sie lobten ihn als schön, lang und sauber.

Für die Einheimischen blieb es die Wüste: die Gegend, in der sie leben. Die, aus der sie kommen. Die, in der sie aufgewachsen sind. Für sie machte es keinen Unterschied, hier oder siebzig Kilometer tiefer im Landesinneren im Sand zu sitzen. Und niemals werden sie geahnt haben, dass der Bauplatz des Chicago Beach Hotels heute mit dem verschmolzen ist, was vor dreißig Jahren Dubai war und jene zwanzig Kilometer entfernt lag.

Dort, wo einst Dubais erstes Strandhotel "Chiacago Beach" stand, das 2001 abgerissen wurde: der Jumeirah-Strand mit seiner künstlichen Lagune.
Foto: Helge Sobik

Die Leute hier erzählen sich eine Geschichte, wonach die Karriere des Emirates als Urlaubsdestination mit einer Zufallsbegegnung begann. Scheich Mohammed bin-Rashid, einer der Söhne des damaligen Herrschers, fuhr demnach mit seinem Geländewagen auf diesem Strand spazieren und sah in der Ferne Menschen im Sand. Sie hatten nur Badesachen an. Nichts, was sie vor der gnadenlosen Sonne schützte – ein Mann, eine Frau, ihr Kind. Sie wollten gerade im Golf schwimmen gehen, als der Herrschersohn seinen Land Rover stoppte und sie fragte, woher sie kommen, wie es ihnen hier in seiner Heimat gefiele und was sie vorhätten. Dass sie ausgerechnet hier baden gingen, fand er offenbar seltsam.

Aus Deutschland seien sie, auf Urlaub, gekommen wegen der herrlichen Sonne, der Hitze sogar. Sie seien hier, weil keine Wolken am Himmel sind. Weil das Meer flach abfällt und mit 27 Grad Wassertemperatur herrlich warm sei und weil Dubai von ihrem Zuhause nur fünfeinhalb Flugstunden entfernt sei, kaum weiter als die Kanaren. Sie schwärmten dem fassungslosen Herrschersohn in einer Weise von seiner Heimat vor, wie er sie nie gesehen hatte.

Fläche für Schiffe und Boote

An den Strand gingen Einheimische allenfalls lange nach Einbruch der Dunkelheit, um ein Feuerchen zu machen, zusammen zu singen, zu plaudern. Das Meer war für sie eine Fläche, auf der sich Fischerboote und Handelsschiffe bewegten, aber keine Badewanne. Mohammed bin-Rashid erkannte in diesem Gespräch, welches Potenzial es zu heben galt. Das Land seines Vaters könnte ein Urlaubermagnet werden.

Heute ist derselbe Mohammed bin-Rashid al Maktoum Herrscher von Dubai. Und heute gibt es knapp 95.000 Hotelzimmer in seiner Heimat, Abermillionen Übernachtungen, Hunderte an täglichen Flügen in alle Himmelsrichtungen. Dubai hat viel aus dem gemacht, was da war. Aber noch immer ist Jumeirah Beach der schönste Strand dieses Emirates. Es ist der Strand, wo alles begann.

Fast 2.000 Strandliegen und bester Blick aufs Burj al-Arab: Jumeirah Beach in Dubai.
Foto: Helge Sobik

Das Chicago Beach Hotel wurde 2001 abgerissen und bereits kurz zuvor durch das in unmittelbarer Nachbarschaft errichtete und erheblich größere Jumeirah Beach Hotel ersetzt. Wenig später folgte das Burj al-Arab, 2004 dann der Madinat Jumeirah-Komplex wiederum direkt an diesem Strand, im Herbst 2016 wird er um ein weiteres, ein viertes Hotel ergänzt. Betreiber ist jeweils die Hotelgruppe Jumeirah, deren Name auf jenen Strand anspielt und an der die Herrscherfamilie 99,67 Prozent der Anteile hält. Die Immobilien gehören jenem Mann, der offenbar über Weitblick verfügte – spätestens seit einer Zufallsbegegnung mit ein paar Badeurlaubern.

44 Hochsitze auf zwei Küstenkilometern

Spät in der Nacht ist es so still wie früher an diesem Strand: Nur das Rauschen des Meeres ist zu hören, erst in der Früh wieder der eine oder andere Schrei eines Seevogels. Und das Knirschen der eigenen Schritte. 53 Mitarbeiter sind für die Sauberkeit des Sandes zuständig, die erste Schicht beginnt noch bei Dunkelheit morgens um fünf und entfernt Algen oder etwaiges Treibgut. Noch bevor die Sonne wieder aufgeht und den Horizont für Momente in milchig rotes Licht tunkt, sind bereits die ersten Jogger unterwegs – bei 22 Grad statt der über 40, auf die das Thermometer in der Mittagszeit wieder klettern wird. Nur Minuten später beziehen die Rettungsschwimmer in ihren rot-weißen Uniformen die 44 Hochsitze auf zwei Küstenkilometern.

Kilometerlang: Jumeirah Beach in Dubai während der Abenddämmerung
Foto: Helge Sobik

Aus den Boxen einer Beachbar schallt bald Ravels Bolero, und schnell herrscht Betrieb, planschen Kinder im Wasser, werfen sich Erwachsene Bälle zu, schwimmen Badenixen ihre Runden. Und Mattheus Lotter schaut in relaxte Mienen: Seine Muskeln scheinen eigentlich für ein zwei Nummern größeres T-Shirt gemacht zu sein, mit seinem kahlen Kopf und dem breiten Grinsen wirkt er wie eine gut gelaunte Mischung aus Hollywood-Star und Zeichentrick-Figur.

Lotter aus Kapstadt ist Boss am Beach und dafür zuständig, dass jeder vom Strand mit einem zufriedenen Gesicht ins Hotel zurückkehrt. Was ihm selber gefällt? "Der Morgen am Strand. Im Winter, wenn es in der Früh noch frisch ist und tagsüber wieder warm wird. Ein Kaffee hier mit Blick auf den Golf." Mehr als fünf Jahre ist er jetzt schon hier, die Freude an diesem Ort, an "seinem" Strand hat er in all der Zeit nicht verloren.

Fisch mit Konfuzius-Bärtchen

Spät am Nachmittag ist da plötzlich der alte Chinese in Badehose, der allen in seiner Umgebung aufzufallen scheint und sich einen Moment lang angestarrt vorkommen muss: weil er anders aussieht als die anderen. Seine Badehose mag vor ein paar Jahrzehnten modern gewesen sein, und es scheint, als bewegte er sich in diesem Ambiente ein wenig unsicher. Nur für Momente ist das so. Dann stürzt sich der Mann mit dem Konfuzius-Bärtchen ins Wasser und schwimmt wie ein Fisch.

Der Strand, an dem Dubais touristische Karriere begann: Jumeirah Beach mit dem Stelzenhaus des "Pierchic"-Restaurants.
Foto: Helge Sobik

Der Chinese braucht sich kaum zu bewegen, um dennoch allen anderen in größter Eleganz davonzueilen und plötzlich so sehr dazuzugehören wie Junge, Alte, Dicke, Dünne oder auch sehr dünne junge Schöne. Es sind Deutschsprachige, Engländer, Russen, Araber, Latinos, Asiaten. Jeder lacht dasselbe Lachen, hat über alle Kulturgrenzen hinweg ein paar Urlaubstage lang dieselbe Freude am warmen Wasser, am Strand, auch an den Cocktails. Im Urlaub und in den Sehnsüchten sind alle gleich – alle jedenfalls, die es sich leisten können, hier zu sein.

Gemeinsam im Sand sitzen

Amna Hassan al-Jallaf arbeitet im Madinat Jumeirah, sieht täglich diesen Strand – und wenn sie sich nach der Arbeit mit Freunden trifft, dann gehen sie gemeinsam an den Strand: nicht an diesen Abschnitt, sondern an einen öffentlichen, der nicht bewirtschaftet wird und sich nördlich anschließt. Sie tun es wie immer, wie ihre Vorfahren. "Wir sind es gewohnt, im Sand zu sitzen. Es gehört zu unserer Kultur", erzählt sie und zupft ihren schwarzen Schleier zurecht, den sie wie ein Kopftuch trägt. Sie kommen bei Sonnenuntergang, bringen Essen mit, breiten ein großes Stück Stoff aus, picknicken gemeinsam bis tief in die Nacht, reden miteinander und genießen die erfrischende Meeresbrise, die fast immer aufkommt.

Neu ist, dass sie dabei Whats-App-Nachrichten in ihre Smartphones tippen. Aber was das Baden angeht, ist alles wie immer. Sie machen sich nichts daraus und überlassen es den Fremden von weither ein paar hundert Meter entfernt am Hotelstrand. Dort, wo einst das Chicago Beach stand. (Helge Sobik, 26.1.2016)