Nicht täuschen lassen! Der heute 73-jährige John Cale spielte 1982 mit "Music for a new Society" eines der depressivsten Alben aller Zeiten ein. Es wurde jetzt radikal optimistisch neu aufgenommen.

Foto: David Reich

Wien – Anfang der 1980er-Jahre war die Sache mit dem Nihilismus in den ausklingenden Nachwehen des Punk eigentlich wieder gegessen. Die Popwelt außerhalb der Hitparaden bewegte sich von Schwarz zumindest Richtung mittelgrauer Nadelstreif und speziell in England trotz Falkland-Kriegs auch Richtung Seitenscheitel, POP! (groß und mit Rufzeichen) oder gar Villa Kunterbunt. Die Gothic-Szene war schon damals in den Erbfolgekriegen Joy Divisions eine trübe, fade Suppe für Leute, denen Thomas Bernhard zu hart war. Und wer wirklich nicht mehr leben wollte, hörte Kajagoogoo.

Es war also einem schon damals alten Knacker wie John Cale vorbehalten, 1982 eines der mieselsüchtigsten Alben aller Zeiten aufzunehmen, für das The Cure um Robert Smith im selben Jahr mit Pornography nicht genug schwarze Energie zusammenkratzen konnten. Ian Curtis war 1982 nicht mehr, Nick Cave las zu viel in der Bibel herum, Cales alter Lebensfeind Lou Reed hatte sich gerade irgendwo in New York festgetrunken. Alle anderen sangen ohnehin Lalelu, wenn sie nicht mit Throbbing Gristle Auftrittsverbot hatten. Punkt.

Eine der härtesten Weltabsagen

Music For A New Society von 1982 steht in der Musikgeschichte als eine der härtesten Weltabsagen da, zu der Menschen jemals fähig waren, bevor sie ganz in das tiefe, schwarze Loch der Depression und des Schweigens fielen.

Der heute 73-jährige, aus Wales gebürtige und in der New Yorker Wolle gefärbte Multiinstrumentalist hatte zwar zu dieser Zeit als 40-Jähriger eine Vergangenheit als Mitglied von The Velvet Underground hinter sich. Immerhin galten diese als jene Band, die in den 1960er-Jahren das wirklich Böse in die Rockmusik brachte. Und auch solo war Cale als Komponist von Schlechte-Laune-Hits wie Fear is a Man's Best Friend, I'm not the Loving Kind oder Hedda Gabler sowie als Sodbrand und Überdruss verursachender Interpret des Elvis-Klassikers Heartbreak Hotel längst ein Markenname in einem Genre, das gerne die Sonne meidet. Ganz zu schweigen vom Amok mit Anlauf machenden Livealbum Sabotage von 1979.

"Freude schöner Götterfunken" in Zeitlupe

Music for a New Society aber, das war damals etwas ganz Spezielles. John Cale hatte sich weitgehend von seinen immer auch bei aller Schwermut sehr melodiösen, etwas barocken und rockigen, manchmal sogar schlageresken Songs verabschiedet (Big White Cloud, 1970! Paris 1919). Eingängige, von Cales forscher Piano- oder Gitarrenbearbeitung getragene Schmerzenslieder wie Close Watch oder Chinese Envoy sind zwar auch auf Music for a New Society noch zu hören. Allerdings geht es in Stücken wie Thoughtless Kind oder Sanctus auch nahe an der strengen Schule der mit Krawatte gespielten Musique concrète vorbei hin zum Hörspiel mit Großekunstanspruch.

In Thoughtless Kind beschäftigt sich John Cale erregungstechnisch ganz im Sinne eines zornigen alten Mannes, dem das Früher mehr als das Morgen gilt, mit der Blödheit der Gegenwart. Zeitlose Problematik, sowieso. Richtig hart wird es aber, wenn der Mann mit der Stimme eines suizidgefährdeten Wiedertäufers in Damn Life zur beliebten, in die Zeitlupe hinuntergezogenen Melodie von Beethovens "Freude schöner Götterfunken" seine Gesamtsituation beklagt. Zehn Jahre zuvor schon erschien übrigens in Österreich 1972 die vorbildlich wienerische Vorgabe Alle Menschen san ma z'wider von Schauspieler Kurt Sowinetz. Das wienerische Element in John Cales Schaffen darf spätestens ab dieser Stelle als bekannt vorausgesetzt werden.

Späten Frieden machen

Warum sich John Cale, mittlerweile braungebrannt, toxisch abstinent und als fröhlicher, von New York nach Kalifornien umgezogener Greis mit 73 Jahren jetzt eine radikale, weil geradezu absurd ins Optimistische gedeutete, völlig neu eingespielte "moderne" Version des Albums antut, bleibt sein großes Geheimnis. Vielleicht will er neben der um bisher unveröffentlichte Stücke erweiterten Original-Wiederauflage von Music for a New Society auf M:Fans einfach auch nur späten Frieden mit der dunkelsten Phase seines Lebens machen.

Dass auf M:Fans allerdings nun Autotune und forsche elektronische Pluckerei erklingt, die halt leider auch nicht wirklich modern, sondern wie aus den 1990er- und Nuller-Jahren entwendet daherkommt – und die Stücke brutal zerhackt werden, lässt allerdings auf eines schließen: John Cale ist nicht der Arzt. John Cale ist der Schmerz. (Christian Schachinger, 26.1.2016)