Am 11. März 2011 wurde dieses Bild aufgenommen. Es zeigt das Auftreffen der Flutwelle an der Miyako-Küste in Japan. Am Ende waren 16.000 Todesopfer zu beklagen.

Foto: APA/dpa/Aflo / Mainichi Newspaper

Innsbruck – Der 11. März 2011 begann für die meisten Menschen auf der japanischen Hauptinsel Honshu wie ein ganz normaler Tag. Am späten Nachmittag waren Tausende tot und ganze Landstriche verwüstet. Rund 70 Kilometer vor der Ostküste hatte ein Beben den Ozeanboden erschüttert und dabei einen gewaltigen Tsunami ausgelöst. Am Ende gab es fast 16.000 Todesopfer zu beklagen, mehr als 2500 Personen blieben vermisst. Im Atomkraftwerk Fukushima kam es infolge der Schäden zur mehrfachen Kernschmelze. Teile der angrenzenden Region sind bis heute unbewohnbar.

Das Tohoku-oki-Erdbeben, wie Fachleute es nennen, erreichte die Stärke neun auf der MW-Skala und gilt somit als eines der schwersten jemals aufgezeichneten. Experten waren von seiner Wucht überrascht. Das Epizentrum lag rund 25 Kilometer tief in der Erdkruste, unter dem westlichen Rand des Japangrabens. Dort schiebt sich die Pazifische Kontinentalplatte langsam unter einen Ausläufer der Nordamerikanischen Platte, wie der Geologe Michael Strasser erklärt. Kein glatter Vorgang. Zwischen den Platten entstehe mächtig viel Reibung, und die wiederum kann unvorstellbare Kräfte freisetzen.

Strasser, der zuvor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich tätig war und seit kurzem an der Universität Innsbruck lehrt, hat die Dynamik des Bebens zusammen mit deutschen und japanischen Kollegen detailliert untersucht. Zwei Forschungsschiffe, die Sonne und die Mirai, waren kurz nach dem Ereignis im Bereich des Japangrabens unterwegs. Die Besatzungen nahmen Bohrproben aus dem Meeresgrund. Anhand deren Struktur und Zusammensetzung sollten nachträglich die Bodenbewegungen aufgezeichnet werden. So wollte man den genauen Ursachen des Tsunami auf die Spur kommen, denn nicht jedes Seebeben gebiert zwangsläufig eine solche Monsterwelle.

Zu Beginn der Studie gab es zwei Hypothesen. Entweder wurde durch den seismischen Schock am Westhang des Japangrabens ein Tiefseeerdrutsch ausgelöst, oder eine schlagartige Anhebung des Bodens hatte die Wassermassen in Bewegung gesetzt. Sonarmessungen zeigten in rund 7500 Meter Tiefe verdächtige Strukturen auf – Wälle mit angrenzenden Vertiefungen. Sind das die Ablagerungen einer Hangrutschung?

Spurensuche im Meer

Für ihre Spurensuche griffen die Forscher auf mehrere Indikatoren zurück. Zum einen ist da das Porenwasser in den Sedimenten aus den Bohrproben. Es enthält Sulfat wie anderes Meerwasser auch, doch bodenbewohnende Bakterien bauen dies nach und nach ab. Je tiefer man im Schlick misst, desto geringer die Sulfatkonzentration. Eine kontinuierliche Abnahme, normalerweise. Erschütterungen jedoch zerstören solche Gradienten. Das Sulfat ist gleichmäßiger im Porenwasser verteilt. Zusätzliche Hinweise liefert die Festigkeit von Sedimentproben. Auch sie wird durch die Einwirkung seismischer Kräfte verringert.

Die Auswertungen zeigen ein eindeutiges Bild. Am Grabenhang oberhalb der Wälle wurde die Schichtung nicht gestört und nichts abgetragen. Die buckelartige Struktur weiter unten weist ebenfalls Schichten auf und kann deshalb keine neuentstandene Halde sein. Die Erdrutschhypothese ist somit passé. In den Vertiefungen dagegen wurden die oberen Sedimentablagerungen völlig durcheinandergewirbelt (vgl.: "Geology", Bd. 31, S. 935). Dort hat offenbar eine Sackung stattgefunden, meint Michael Strasser.

Detaillierte Rekonstruktion

Anhand der gesammelten Daten lässt sich das Geschehen detailliert rekonstruieren. Der seismische Schock selbst ging mit einer Verschiebung des Meeresbodens einher. Die die Pazifische Platte überlagernde Kante der Nordamerikanischen Platte war zuvor wie eine gigantische Sprungfeder gestaucht worden und schnellte nun um etwa 50 Meter nach Osten. "Das betraf eine Riesenfläche", berichtet Strasser. Zirka 100 mal 400 Kilometer. Im Zuge der Verschiebung wurde der Ozeanboden um bis zu zehn Meter angehoben.

Rotierende Kräfte drückten Tonnen Material nach oben, während in den angrenzenden Bereichen der Grund in sich zusammensackte. Im Wasser entstand eine Kugelwelle, erläutert Strasser. "Und so wurde der Tsunami ausgelöst."

Das Tohoku-oki-Beben hat die Fachwelt nicht nur durch seine Stärke erstaunt. Die Sackung ist den Analysen zufolge durch einen Riss in der Erdkruste entstanden, ausgehend vom Epizentrum und bis hoch in den Japangraben. Ein Novum, wie Michael Strasser betont. "Vorher ging man davon aus, dass Erdbeben nicht bis zum Tiefseetrog durchbrechen." Stattdessen würde sich der Boden nur elastisch verformen. Diese Annahme war offensichtlich falsch.

Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Mithilfe des japanischen Forschungsschiffs Chikyu sollen weitere Proben in der Region genommen und so neue Details ans Licht gebracht werden. Wie zum Beispiel beeinflussen Tonablagerungen die Reibungen zwischen den Kontinentalplatten? Die Chikyu ist eine Art mobile Bohrinsel für den Tiefseeeinsatz. Auch Michael Strasser war bereits an Bord. "Das ist an der Grenze des technisch Möglichen", schwärmt der Wissenschafter. Ein hohles Leitgestänge wird durch die komplette Wassersäule bis zum Boden in über sieben Kilometer Tiefe herabgelassen. In dessen Inneren bewegt sich der eigentliche Bohrapparat, der selbst über acht Kilometer tief in die Erdkruste vordringen kann. Mithilfe dieser Technik lassen sich sogar Wärmesensoren direkt in der Bruchzone einpflanzen.

Ziel dieser Forschungsarbeiten ist natürlich ein besserer Einblick in die Entstehung und Dynamik von Erdbeben, erklärt Michael Strasser. "Die Vergangenheit lehrt uns, dass die bisherigen Modelle nicht ausreichend sind." Langfristige Erdbebenvorhersagen hält der Experte zwar für unwahrscheinlich, aber die direkten Vorboten ließen sich womöglich erkennen. "Zwei, drei Minuten, bevor es knallt." So könne man Entscheidungsgrundlagen für den Notfall schaffen.

Wenn schnell Alarm geschlagen wird, haben Menschen noch die Gelegenheit, Gebäude zu verlassen und sich auf den Schock vorzubereiten. "Dann rettet man viele Leben", betont Strasser. (Kurt de Swaaf, 29.1.2016)