Bioethikerin Christiane Druml in ihrem Büro im Josephinum in Wien Alsergrund: Erschreckend findet sie Vorurteile, die aus einer eigentlich aufgeklärten Gesellschaft kommen.

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STANDARD: Die Bioethikkommission hat 2015 eine Stellungnahme zum Thema Impfen abgegeben. Verläuft die Diskussion über Sinn und angeblichen Unsinn von Impfen in Österreich so, dass das nötig wurde?

Druml: Das Thema wurde durch eine Anfrage des Gesundheitsministers an uns herangetragen. Ich war froh darüber, weil Impfen im deutschen Sprachraum nie als Thema einer Bioethikkommission betrachtet wurde, im angelsächsischen Raum aber sehr wohl – oft getrieben von diffusen Ängsten und einem falsch verstandenen Verantwortungsgefühl für das soziale Umfeld. So konnten wir eine eindeutige Meinung dazu formulieren, um aufklärend zu wirken: Impfen gegen Infektionskrankheiten ist eine Erfolgsgeschichte. Viele Krankheiten existieren nicht mehr und haben ihren Schrecken verloren. Es wäre fürchterlich, wenn Eltern ihr Baby nicht impfen, weil sie meinen, dass das Erdulden einer Krankheit zur Persönlichkeitsbildung des Kindes beiträgt.

STANDARD: Wurden Sie mit dieser Annahme konfrontiert?

Druml: Es gab viele Impfgegner, die sich nach Veröffentlichung der Empfehlung unter Pseudonymen via Mail auf mich gestürzt haben. Sie waren aggressiv. Es ist auch schwer, sich eine klare Meinung zu bilden, wenn man im Internet doch recht viel falsche Information – auch ganz bewusst gestreute Fehleinschätzungen – findet. Was soll man da glauben? Was mich erschreckt, ist, dass diese Vorurteile gegen das Impfen aus einer aufgeklärten Gesellschaft kommen, die durchaus die intellektuellen Kapazitäten hätte, Fakten zu erkennen und Meinungen richtig einzuschätzen.

STANDARD: Warum tut man sich etwa so schwer, den Sinn einer Impfung gegen das sexuell übertragbare Humane Papillomavirus zu erkennen?

Druml: Vielleicht liegt es ja daran, dass man die Infektion nicht durch rote Flecken auf der Haut oder durch andere Signale erkennt. Sie ist unsichtbar und bricht auch erst relativ spät aus. Wahrscheinlich ist die Vorstellung von Eltern, ihr Kind gegen HPV impfen zu lassen, auch ein Tabu. Kinder als sexuell aktive Erwachsene: Das will man sich in diesem Stadium womöglich nicht vorstellen.

STANDARD: Was man sich nicht vorstellen kann, darf es also nicht geben. Gilt Ähnliches auch für die breite Ablehnung der embryonalen Stammzellforschung in Österreich, mit der sich die Bioethikkommision ja intensiv beschäftigt hat?

Druml: Österreich hat ähnlich wie Deutschland ein striktes Gesetz. England, Belgien, Schweden und überraschenderweise das eher katholische Spanien sind da viel liberaler. Das führt zu einer merkwürdigen Situation, die so inakzeptabel ist. Wissenschafter, die bei essenziellen Fragestellungen offenbar nach wie vor diese embryonalen Stammzellen brauchen, müssen diese Zellen importieren, weil sie hierzulande nicht hergestellt werden dürfen. Andererseits muss man durch In-vitro-Fertilisation befruchtete Eizellen, die nicht in die Gebärmutter eingesetzt werden können, nach zehn Jahren vernichten. Dass keine Eizelle nur für die Stammzellforschung befruchtet wird, finde ich schon richtig. Aber das ist die pure Doppelmoral.

STANDARD: Dennoch findet eine Diskussion über dieses Gesetz nicht statt. Warum?

Druml: Es gibt keinen Politiker, der sich dieses Themas annimmt. Und in der Öffentlichkeit herrscht eine breite Ablehnung von bioethischen Themen – weil die Menschen darüber zu wenig wissen. Wir versuchen aufzuklären, veranstalten Tagungen, öffentliche Sitzungen. Ich glaube, dass wir viel machen, aber eine breitere Debatte ist sicher möglich. Ich frage mich mitunter, woher diese grundlegende Ablehnung kommt. Schauen Sie sich die traurigen Zahlen zum Thema Wissenschaftsfeindlichkeit an. Da liegen wir in Umfragen im Niemandsland. Es liegt sicher an der Tradition, wie Wissenschaft hier bewertet wird, was man letztlich auch am Geld merkt. Es gibt zu wenig Geld für die Unis, die sind auf Sparflamme. Das führt selbstverständlich dazu, dass gute Wissenschafter ins Ausland gehen. Der Molekularbiologe Erwin Wagner hat mir erzählt, dass er nach seinem Wechsel an ein Krebszentrum in Madrid dort als eine Art Superstar in eine Nachrichtensendung eingeladen wurde. Das kann man sich kaum vorstellen: Ein ausländischer Wissenschafter bei Armin Wolf in der "ZiB 2".

STANDARD: Glauben Sie, dass Sie mit dem Unesco Chair of Bioethics, den Sie nun übernehmen, die Diskussion anfachen können?

Druml: Ich werde es jedenfalls versuchen. Der Chair is ja auf vier Jahre begrenzt. Danach muss man sehen, wie es weitergeht. Ich habe zum einen einen Bildungsauftrag, das heißt auch, dass ich das Thema nachhaltig in Forschung und Lehre und an Schulen etablieren will. Bis jetzt gibt es ja keinen Lehrstuhl für Bioethik in Österreich. In Deutschland, in der Schweiz oder beispielsweise im Sudan gibt es einen. Wie das Thema überhaupt in Afrika sehr präsent ist. Da herrscht ein viel regeres Interesse als hierzulande. Ich werde unter anderem mit afrikanischen Forschungsinstituten zusammenarbeiten, die von der Uni Tübingen und dem österreichischen Infektiologen Peter Kremsner geleitet werden. Auch um die Position der Ärztinnen und Wissenschafterinnen in Afrika zu stärken.

STANDARD: Die Bioethikkommission ist auch bisher an Schulen präsent gewesen.

Druml: Das wollen wir weiterhin so handhaben. Den Lehrern fehlt es aber an Zeit. Sie haben zwar gern an unserem Seminar teilgenommen, um sich vorzuinformieren. Es scheint sich aber mit wenigen Ausnahmen wie dem Akademischen Gymnasium oder dem Theresianum nicht auszugehen, mit den Schülern vorab das Thema zu besprechen, ihnen eine Einführung zu geben, damit sie wissen, worüber wir bei unseren Besuchen in den Klassen reden werden. Es sollten auch bildungsfernere Schichten in den Schulen die Chance bekommen, über derlei Themen zu diskutieren. Auch sie wollen mehr über derartige Themen wissen, davon bin ich überzeugt. (Peter Illetschko, 27.1.2016)