STANDARD: Vor drei Jahren hätte kaum ein politischer Beobachter einen Pfifferling auf Sie gesetzt. Haben Sie damals selbst daran geglaubt, noch in eines der wichtigsten Regierungsämter aufzusteigen?

Stöger: Ich habe nie nach anderen Ämtern geschielt, sondern zu hundert Prozent jene Aufgaben ausgefüllt, für die mich Bundeskanzler Werner Faymann eingesetzt hat. Aber ich war schon davon überzeugt, dass meine Art der Politik langfristig zu Ergebnissen führt: eine klare Linie auf den Tisch legen, alle Betroffenen einbinden, nicht immer auf die nächste Schlagzeile drängen, sondern langen Atem beweisen.

"Menschenwürdige Bedingungen" möchte Alois Stöger als Sozialminister den Flüchtlingen schaffen – und deshalb Sozialkürzungen für Asylberechtigte verhindern: "Es wird hinterher viel Geld kosten, um die so geschaffenen sozialen Probleme zu bekämpfen."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Den werden Sie auch im neuen Job brauchen. Haben Sie ein Rezept, um nicht Monat für Monat neue Negativrekorde an Arbeitslosen verkünden zu müssen?

Stöger: Wenn es so einfach wäre wie in einer Küche, dann wäre die Arbeitslosigkeit längst beseitigt. Das Wichtigste ist: Wir müssen in Europa weg von der Sparpolitik kommen, um stärker zu investieren. Seit Jean-Claude Juncker die EU-Kommission anführt, gibt es ein paar positive Beispiele, aber mir passiert da noch zu wenig. In Österreich werden Lohnsteuersenkung und Wohnbauoffensive das Wachstum ankurbeln, aber auch wir müssen noch mehr tun – etwa indem wir den Gemeinden durch Umverteilung im Budget mehr Luft geben, um Geld in den Schulbau und andere Investitionen zu stecken. Das würde rasch Wirkung zeigen.

STANDARD: Das alles klingt so, als könnten Sie selbst in Ihrem Ressort nicht viel tun.

Stöger: Tatsächlich sollte der Sozialminister nicht der Erste sein, dem die Frage nach der hohen Arbeitslosigkeit gestellt wird. Ich kann zwar die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik ständig von neuem schärfen und stärken, wie etwa die Ausbildungsgarantie für Jugendliche. Aber besetzen lassen sich letztlich nur Stellen, die durch Investitionen und Wachstum geschaffen werden. Die Arbeitsplätze fallen leider nicht vom Himmel.

STANDARD: Reformen wie in Deutschland, wo Arbeitssuchende stärker gedrängt werden, Jobs auch unter ihrer Qualifikation anzunehmen, schweben Ihnen nicht vor?

Stöger: Was soll das bringen? Es fehlen ja die Jobs, in die wir jemanden drängen könnten. Den Menschen die Existenzsicherung zu nehmen, schafft keine Arbeit – im Gegenteil: Ich muss den Leuten vernünftige Kaufkraft zugestehen, damit wirtschaftliche Dynamik entsteht. Das Hartz-IV-System in Deutschland ist alles andere als ein Vorbild.

STANDARD: Rezept von linker Seite: Sind Sie für Arbeitszeitverkürzung?

Stöger: Grundsätzlich ja. Es wäre wichtig, die Arbeit vernünftiger zu verteilen. Wir leisten uns den Luxus, dass manche überhaupt nicht arbeiten, während sich andere vor Arbeit gar nicht erwehren können.

STANDARD: Setzen Sie sich ein Limit, wie stark die Arbeitslosigkeit unter ihrer Amtszeit steigen darf – quasi eine Obergrenze?

Stöger: Mein Ziel ist: Die Arbeitslosigkeit soll in meiner Amtszeit sinken. Nun muss diskutiert werden, wie das zu schaffen ist. Wann der Turnaround gelingt, weiß ich nicht – das wäre Kaffeesudlesen. Es hilft deshalb nichts, irgendwelche Obergrenzen zu setzen, die sich dann als unhaltbar erweisen.

STANDARD: Bei den Asylwerbern hat die Regierung das aber so gemacht: Es gibt eine Art Obergrenze, aber keinen echten Plan, wie diese erreicht werden soll.

Stöger: Ich beteilige mich nicht an der Debatte über Obergrenzen, weil sie davon ablenkt, was wirklich wichtig ist: Fluchtgründe bekämpfen, Asylwerber europaweit fair verteilen. Mein Part als Sozialminister ist dabei, menschenwürdige Bedingungen für jene zu schaffen, die nach Österreich kommen.

"Mein Ziel ist: Die Arbeitslosigkeit soll in meiner Amtszeit sinken. Wann der Turnaround gelingt, weiß ich nicht – das wäre Kaffeesudlesen", sagt der neue Sozialminister Alois Stöger.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Oberösterreich will die Mindestsicherung für Asylberechtigte halbieren. Sind das noch menschenwürdige Bedingungen?

Stöger: Nicht Oberösterreich, sondern Schwarz-Blau tut das, auf diese Unterscheidung lege ich wert. Die Landesregierung verletzt damit nicht nur internationales Recht, sondern riskiert auch, dass wie anderswo in Europa städtische Slums entstehen. Es wird hinterher viel Geld kosten, um die so geschaffenen sozialen Probleme zu bekämpfen.

STANDARD: Aber kann eine hohe Leistung nicht tatsächlich eine Verlockung sein, nicht zu arbeiten? Familien können auf 2000 Euro Mindestsicherung und mehr kommen. Das lässt sich am freien Markt nicht so leicht verdienen.

Stöger: Will ein Bezieher nicht arbeiten, kann der Grundbetrag von 620 Euro, bei dem die Wohnkosten herausgerechnet sind, schon jetzt halbiert werden. Ist das vielleicht nicht genug Druck, sich eine Arbeit zu suchen? Ich bin für alle Vorschläge zu haben, die diesen Mechanismus verbessern, aber nicht für eine generelle Kürzung der Mindestsicherung. Einer Begrenzung der Leistung bei 1500 Euro, wie das die ÖVP fordert, würde größere Familien mit Armut bedrohen – Kinder können sich aber weder die Eltern noch den Wohnort aussuchen. Vor der Neiddebatte der ÖVP auf dem Rücken der Jüngsten graust mir.

STANDARD: Soll der Bund den Ländern die Aufgabe der Mindestsicherung abnehmen?

Stöger: Ja. Das ist eine spannende Idee einer ÖVP-Landesrätin aus Niederösterreich, der ich mich gerne anschließe. Es wäre ein Fortschritt, wenn in ganz Österreich gleiche Bedingungen für die Mindestsicherung herrschten.

STANDARD: Viele Experten fordern, Asylwerbern bereits vor Abschluss des Verfahrens die Chance zum Arbeiten zu geben, um möglichst früh die Integration zu fördern. In Österreich geht das nur sehr begrenzt in Gastgewerbe und Landwirtschaft. Wollen sie den Arbeitsmarkt weiter öffnen?

Stöger: Ich würde diese Einschränkungen dann lockern, wenn es genug Arbeitsplätze gäbe. Mein Grundsatz lautet: Wer berechtigterweise in Österreich lebt, soll auch einen Beitrag leisten dürfen und somit am Arbeitsmarkt eine Chance haben. Aber angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ist dafür momentan einfach nicht der richtige Zeitpunkt.

STANDARD: Asylberechtigte haben Zugang zum Arbeitsmarkt, werden es mangels Ausbildung und Deutschkenntnissen dort aber schwer haben. Wirtschaftsvertreter fordern deshalb, mit Lohnsubventionen, wie es sie für ältere Langzeitarbeitslose bereits gibt, nachzuhelfen. Sind Sie dafür?

Stöger: Dieses Instrument ist eines von vielen, das passen könnte, aber das hängt vom konkreten Fall ab. Das ist das Spannende in der Sozialpolitik: Generelle Wahrheiten gibt es da nicht, man muss immer genau hinschauen. Wir werden für diese spezielle Zielgruppe alle möglichen Instrumente zu nutzen haben. Vor allem müssen wir mit der Ausbildung und der Sprachförderung so früh ansetzen wie möglich. Man darf aber nicht vergessen: Unter den Menschen, die zu uns kommen, gibt es auch viele, deren Leistung wir gut brauchen können – etwa in der Pflege.

STANDARD: Vom Arbeitsmarkt hängt auch die Stabilität des Pensionssystems ab. Bis zum 29. Februar will sich die Koalition auf Reformen einigen. Geht es für Sie dabei nur darum, möglichst viele ÖVP-Wünsche zu verhindern, oder wollen Sie auch etwas ändern?

Stöger: Kommt darauf an, was Sie unter Pensionsreform verstehen. Dieser Begriff ist wie ein Koffer, von dem niemand weiß, was drin ist. Vertreter von ÖVP und Wirtschaft wollen offenbar uralte Kleider einpacken: Sie wollen das Umlagesystem, bei dem die Erwerbstätigen mit ihren Beiträgen die Pensionen finanzieren, demontieren und die Altersversorgung der Veranlagung am Finanzmarkt ausliefern. Doch die kapitalgedeckten Systeme haben in der Krise in vielen Ländern kläglich versagt. Was hätte die Wirtschaftskammer gejammert, wenn zwei Millionen Pensionisten auch bei uns keine Marie mehr zum Ausgeben gehabt hätten!

"Unter den Menschen, die zu uns kommen, gibt es auch viele, deren Leistung wir gut brauchen können – etwa in der Pflege."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Für manche Vorschläge gibt es aber gute Argumente. Die ÖVP will das Pensionsalter der Frauen rascher als geplant von 60 auf die 65 Jahre der Männer anheben. Beraubt der frühere Ruhestand Frauen nicht der Chancen auf Karriere, Weiterbildung und damit besseren Verdienst?

Stöger: Es gibt schon jetzt keine Verpflichtung, mit 60 Jahren in Pension zu gehen. Frauen können länger arbeiten – und viele wollen das auch.

STANDARD: Aber sobald es die Möglichkeit zur Pension gibt, üben viele Arbeitgeber Druck aus, in den Ruhestand zu gehen.

Stöger: Dann sollen ÖVP und Wirtschaftsbund auf diese Klientel, die ihnen ja nicht fernsteht, einwirken, ältere Arbeitnehmerinnen zu behalten. Unter den jetzigen Bedingungen führt ein höheres gesetzliches Pensionsalter nur dazu, dass Frauen statt in der Pension in der Arbeitslosigkeit landen. Da mache ich nicht mit.

STANDARD: Gibt es irgendetwas, das die SPÖ bei einer Pensionsreform umsetzen will?

Stöger: Ja, aber da greife ich nicht vor, damit die Experten frei diskutieren können. Ihr Journalisten müsst ein bissl Geduld haben!

STANDARD: Um uns müssen Sie sich keine Sorgen machen, eher schon um die SPÖ: Die scheint gegenüber der ÖVP, die ständig Forderungen erhebt, arg in der Defensive.

Stöger: Das mag so wirken. Uns mögen manchmal die Headline und der schnittige Sager fehlen, aber beim Ergebnis schaut die Bilanz dann ganz anders aus. Von diesem Weg komme ich nicht ab. (Gerald John, 30.1.2016)