Liebe mit Kunsthintergrund: Friedrich Dürrenmatt mit seiner ersten Frau Lotti in den 1970er-Jahren.

Foto: Thimfilm
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Wien – Gegen Ende ihres eineinhalbstündigen Kinofilmporträts Dürrenmatt. Eine Liebesgeschichte legt die Schweizer Dokumentarfilmerin Sabine Gisiger (u. a. Gambit, Do it) den Fokus eines der wenigen Male auf die öffentliche Figur Friedrich Dürrenmatt, und zwar indem sie in den November 1991 blendet, einen Monat später wird der Autor 69-jährig an Herzversagen sterben.

Die Stimmung, die der Kameraschwenk der Archivaufnahme 1991 einfängt, ist angespannt. Auf den Gesichtern der im Saal versammelten Honoratioren aus Finanz, Wirtschaft und Politik macht sich Entsetzen breit. Vorn am Stehpult spricht der Laudator, ein korpulenter Mann mit Brille und Kinderblick über Václav Havel, dem man gerade den Gottlieb-Duttweiler-Preis verliehen hat.

Dürrenmatt tut dies – wie immer – in einem Deutsch, das klingt, wie wenn Felsbrocken eine Bergfluh hinunterdonnern würden, und er sagt Unbequemes, etwa dass die Schweiz das einzige Gefängnis sei, dessen Insassen gleichzeitig ihre eigenen Wächter seien, die sich aber die Freiheit nehmen würden, Geschäfte mit jedem zu machen, und seien sie noch so dubios.

Vater und Ehemann

Sechs von sieben Bundesräten waren anwesend, alle verweigerten dem Autor den Handschlag, er wurde auch sonst geschnitten. Dürrenmatt fand das lustig, schließlich hatte er nur das getan, was er in seinen Stücken und Prosatexten immer gemacht hatte, nämlich in Zusammenhängen zu denken, aus denen er sich selbst nicht ausnahm. Dies machte seine Angriffe auf die "Fassade Schweiz" auch radikaler als etwa Thomas Bernhards Hadern mit dem System Österreich.

Doch es geht Gisiger in ihrem Porträt nicht primär um den Schweiz-Kritiker, den Weltenbauer, Theaterautor und Maler. Vielmehr ist dieser Kinofilm eine an keiner Stelle voyeuristische Annäherung an den Vater und Ehemann Dürrenmatt, der sich ungern zu Privatem äußerte. Die Regisseurin hat dafür viel Archivmaterial bewegt, und sie hat Gespräche mit Dürrenmatts Schwester Verena (92) und seinen Kindern Peter (69) und Ruth (65) geführt. Dass in diesem Film, dessen Zentrum die fast 40 Jahre währende Ehe Dürrenmatts mit seiner ersten Frau Lotti bildet, nun die gemeinsamen Kinder reden, ist von hohem Wert, zumal sie sich noch für Peter Rüedis große Dürrenmatt-Biografie Eine Ahnung vom Ganzen (2011) weigerten, über ihren Vater zu sprechen.

Das Familienleben war Dürrenmatts Stärke nicht, er heiratete früh, gab das Studium auf, bald waren Kinder und ein zusammengeborgtes Haus da – und die ersten Bühnenmisserfolge. Wenn er arbeitete, was er ausgiebig tat, hatte man still zu sein und aus der großen Liebe mit Lotti, anfänglich einer wichtigen Beraterin des Autors, wurde zunehmend Distanz, die sich durch Lottis Depressionen noch verstärkte. 1983 fand Dürrenmatt seine Frau tot im Bett.

Die Passage, in der Tochter Ruth ein Gedicht Dürrenmatts an die Mutter liest – es beginnt mit den Versen "Vor uns hintastend, Liebes / Ins immer Dunklere / Fühlen wir in der Kälte unsere Wärme // Versuchen wir hilflos / uns Gutes zu tun" – gehört zu den intensivsten des Films. Und wenn der seinem Vater frappierend ähnelnde Sohn Peter, der wie sein Großvater zum Entsetzen Dürrenmatts evangelischer Pfarrer und sozial engagierter Pastor bei der Flüchtlingshilfe in Genf wurde, in die Kamera blickt, sieht man denselben Kinderblick, der um den Schrecken der Welt nur allzu gut weiß.

Schwere und Bitternis

Dürrenmatt. Eine Liebesgeschichte zeigt den Starautor als einen Verschwiegen-Unsicheren, der mit sich und seinen Albträumen im gleichen Maß rang wie mit seinen Stoffen. "Wir begreifen die Toten leichter als die Lebendigen, aber wir formen sie auch hemmungsloser nach unserem Bilde. Jeder Mensch hat Schwierigkeiten, er leidet oft Bitteres und handelt erbittert. Doch in der Erinnerung wird alles Schwere und Bittere unwesentlich", sagt Friedrich Dürrenmatt zu Beginn des Films.

Die Politelite übrigens, die Dürrenmatt nach der Havel-Rede zum Paria erklärte, feierte ihn nach seinem Tod ein paar Wochen später als den Nationaldichter, der er nie sein wollte. (Stefan Gmünder, 5.2.2016)