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Hände hoch: "Ich laufe an der Biene Maya, am Dagobert Duck vorbei, ein weißer Schwan kommt mir entgegen. Ich verlasse das Geldinstitut, betrachte meine Kreditkarte, die in der Sonne glänzt, golden ... Ich sehe den Herrn Spiessberger, er zieht sich eine Maske über, holt ein Schießgewehr hervor ..."

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Josef Kleindienst, geb. 1972, lebt als freier Schriftsteller in Wien.

Foto: Heinz Holzmann

Ich stehe an der Kassa mit zwei Hemden, einem blauen und einem roten, einer Hose und drei Paar Socken. Die Verkäuferin zieht den Strichcode über den Scanner. Ich zücke meine Kreditkarte und reiche sie ihr. Sie schiebt sie in die Cash-Maschine und wartet, doch nichts tut sich. Ich meine: Das gibt's doch nicht. Sie schüttelt bloß den Kopf hin und her, ihr Pferdeschwanz, der wackelt. So ein Pech, sagt sie. Ich starre weiter auf das Display: Transaktion fehlgeschlagen. So ein Mist, denke ich mir. Da kann man nichts machen, meint sie, nimmt die Kleidungsstücke und schiebt sie in das Regal hinter ihr. Ich schaue sie an, sie zuckt mit den Achseln. Ich verlass das Geschäft. Bestimmt der Herr Spiessberger, murmle ich.

Ich betrete mein Geldinstitut. Es ist Fasching und alle Angestellten sind kostümiert, tragen Perücken und sind in allerlei seltsame Gewänder gekleidet. Die Schalterbeamtin steht in einem Biene-Maya-Kostüm vor mir und fragt mich, was ich wolle und ich erkläre ihr, dass meine Kreditkarte aus irgendeinem Grund nicht mehr funktioniere und ich wisse nicht, warum dies so sei. Sie schaut mich an, als wäre ich kostümiert und nicht sie.

Der linke Flügel ihres Kostüms hängt ein wenig runter, die Spannung fehlt. Sie nimmt meine Karte und tippt etwas in ihren Computer und bald darauf erklärt sie mir, dass meine Karte schon seit einiger Zeit nicht mehr funktioniere, ja, dass sie gesperrt worden sei, von meinem Berater, dem Herrn Franz Spiessberger, warum, das wisse sie zwar auch nicht, da der Herr Spiessberger heute nicht anwesend sei, aber ich könne ohne weiteres mit einem ihrer Kollegen dieses Problem besprechen, ich solle mich dazu in den ersten Stock begeben, dort würde sich ein Mitarbeiter meines Problems annehmen.

Ich blicke nochmals auf ihr Kostüm, auf die schwarz-gelben Punkte auf ihren Flügeln, verabschiede mich und erklimme die Stufen in den ersten Stock. Oben angekommen steht ein Revolverheld vor mir, mit Augenbinde und einem Revolver um die Hüfte, der Hut hängt ihm tief ins Gesicht. Ich starre ihn an, er meint, ich solle mich setzen und zeigt auf einen Stuhl, er bringe mir gern einen Kaffee, falls ich das wünsche, fügt er noch hinzu. Ich nicke und schaue auf seinen Revolver, erkläre ihm, dass meine Kreditkarte nicht funktioniere, dass sie gesperrt worden sei von seinem Kollegen, dem Herrn Franz Spiessberger.

Sein Revolver baumelt

Im Hintergrund taucht ein Vampir auf, der wissen möchte, wann mein Gegenüber denn für ein Gespräch Zeit habe. Der Revolverheld zieht seinen Hut ein wenig hoch und meint, ein wenig später wäre ein guter Zeitpunkt. Der Vampir, ein weiblicher, wie ich an der Stimme bemerke, verschwindet hinter einer gläsernen Tür.

Der Revolverheld wendet sich nun wieder mir zu, ich bin ein wenig sprachlos, und hätte fast vergessen, warum ich eigentlich hier bin. Er erhebt sich und bringt mir Kaffee, reicht mir Zucker und Milch und ich gebe ihm meine Kreditkarte und erzähle ihm nochmals, dass sie gesperrt sei, und ob er das nicht ändern könne. Ich wisse auch nicht, was der Grund der Sperre sei, füge ich noch hinzu und überhaupt sei die ganze Angelegenheit ein Witz, denn was ist man heutzutage schon ohne eine Kreditkarte. Er hört mir zu, seine Augenbinde fällt ein wenig runter, und dann meint er, dass man das Problem unter Umständen schon lösen könne, falls die Voraussetzungen passen würden, dazu bräuchte es nur fünf Minuten und wenn ich Zeit hätte, würde er das nun erledigen.

Ich bin erfreut und sage ihm, dass er das unbedingt machen solle. Sein Kollege, der mir diesen Mist eingebrockt habe, der gehöre eigentlich wegen Quälen eines Besitzlosen eingesperrt, ja, in den Kerker mit ihm, weil es könne ja nicht sein, dass er einfach meine Karte sperre, noch dazu wo es ja nicht mal sein Geld sei, das ich verschwende, sondern mein eigenes, und da höre sich der Spaß aber auch auf, möchte ich nun sagen, sage es aber nicht, sondern mache einen Schluck vom Kaffee. Und ohne so eine Karte hat man auch keine Reiseversicherung, und wenn man so ganz ohne Versicherung reist, ist das auch nicht gut, sage ich ihm nun, vor allem wenn mir was gestohlen wird, im Ausland, in Barcelona oder sonst wo, und in Barcelona wird ja wirklich allerhand gestohlen, vor allem Brieftaschen, aber auch Fotoapparate, verschwinden dort täglich.

Er nickt und steht auf, sein Revolver baumelt am Gürtel und kurz darauf war er hinter der Tür verschwunden. Ich blicke mich nun etwas genauer um, weiße Stühle, grässliche hellgrüne Tische, die Wand kahl, und sitzt man, so wie ich, länger alleine in diesem Raum beschleicht einen ein beängstigendes Gefühl, kurzum: ein Ort für besondere Gespräche.

Wenn das Geschäft erledigt ist

Wenn man aus dem Fenster schaut, so sieht man diese seelenlosen Häuser, mit kleinen Fenstern, ganz vielen, und Balkonen, viereckig und grau, und nicht enden wollenden Fassaden. Ich denke an den Herrn Spiessberger, was er jetzt wohl macht. Wahrscheinlich hat er sich die Clara im Internet bestellt. Mit einem Mercedes-Taxi kommt sie angerauscht, fährt mit dem Lift hoch und setzt sich auf das rote Lieblingssofa des Herrn Spiessberger. Er zeigt ihr seine Kreditkarte, legt sie auf die Küchenkredenz und küsst sie, nicht die Karte, aber die Haut von der Clara, wenngleich die Clara das nicht so gern hat mit dem Küssen, nicht wegen dem Mundgeruch, daran hat sie sich bereits gewöhnt, vielmehr wegen der Hygiene.

Nach einer Stunde, wenn das Geschäft erledigt ist, holt die Clara aus ihrer Tasche ihre Registrierkasse, ein ganz neues Model, das sie einiges gekostet hat, und steckt die Karte in das Ding. Der Herr Spiessberger tippt seinen Code ein, die Clara lächelt ihn an, während er immer finsterer schaut, wo doch erst unlängst sein Lohn gekürzt worden ist, wegen der Krise, auch die Mitarbeiter müssten sich beteiligen, ein Solidaritätsbeitrag wurde ihm gesagt, aber wer ist mit ihm solidarisch, hat er sich gedacht, insgeheim, als er von seinem Vorgesetzten davon unterrichtet wurde.

Ja, wer ist mit ihm solidarisch, nicht die Clara, die ihre Registrierkasse wieder in ihrer Tasche verschwinden lässt und die Tür hinter sich schließt, sodass es ganz still wird in seiner Wohnung, so still, dass er sich zu fürchten beginnt. Er steckt die Kreditkarte schnell in seine Schublade, wo sie sicher ist. Nicht jeder sollte so eine Karte haben, das ist nicht gut für die Welt. Und er überlegt auch einen Solidaritätsbeitrag bei der Clara einzuführen, ja, Solidarität ist ein schönes Wort, denkt er sich.

Kurz darauf erscheint wieder der Revolverheld, in der Hand meine Karte, er erklärt mir freudig, dass er alle Schritte bereits in die Wege geleitet habe und bereits in einer Stunde stünden mir alle Annehmlichkeiten des alltäglichen Lebens wieder zur Verfügung.

Es bestehe kein Grund, die Sperre länger aufrechtzuerhalten, da ich alle Voraussetzungen seines Erachtens erfülle und er wisse auch nicht, was seinen Kollegen dazu veranlasst habe, diesen bedauerlichen Schritt zu setzen. Wahrscheinlich bloß ein Irrtum.

Trotzdem wäre es von Nutzen, wenn ich eine Lebensversicherung abschließen würde, denn passieren könne immer was, besonders in Zeiten wie diesen, erklärt er mir, schon morgen können sich Dinge grundlegend geändert haben. Da sehen Sie, und er reicht mir einen Folder, einen blauen mit einem 500-Euro-Schein darauf. Im Falle Ihres Ablebens würden Ihre Nachkommen profitieren und Ihre Frau ebenso, und uns unter uns gesprochen würde es ein gewisses Maß an Sicherheit geben und meinen Kollegen, den Herrn Spiessberger, würde es bestimmt auch freuen, verstehen Sie, damit könnten Ihnen in Zukunft solche Unannehmlichkeiten erspart bleiben.

Lebensversicherung, murmle ich und stelle mir vor, wie ich vor der Bank von einem Müllauto, einem dieser ganz großen, überrollt werde. Man sollte das Risiko so gering als möglich halten, setzt er fort. In unser aller Interesse. Eine Lebensversicherung dient nicht nur Ihnen, sondern hilft auch Ihren Mitmenschen.

Noch immer hält er meine Kreditkarte in seiner Hand. Er legt seinen Revolver auf den Tisch. Ich werde mir das überlegen, stammle ich. Ob ich gern ein Gläschen Sekt hätte, erkundigt er sich und zaubert aus einem Kästchen ein Fläschchen mit zwei Gläsern hervor. Wir stoßen an. Ich solle mir das in aller Ruhe durch den Kopf gehen lasse, ich hätte ja noch ein wenig Zeit, erklärt er mir. Ich mache noch einen Schluck. Und wie sehe es mit der Pensionsvorsorge aus, will er nun wissen. Mir gibt es einen Stich im Magen. Damit wir auch in Zukunft unbeschwert unseren Sekt trinken können. Er lacht. Die Zeit vergeht schneller als man denkt und ehe man sich es versieht wohnt man in einem Pensionistenheim und da wäre es doch von Nutzen, wenn man ein paar Cent auf der Seite hätte, denn auch im Alter möchte man sich was gönnen, wenn man sich schon sein Leben lang nichts gegönnt hat, dann möchte man sich zumindest im Alter was gönnen, zumindest eine Sachertorte und eine Melange, vielleicht braucht man auch ein Hörgerät und für ihre Freundinnen ab und zu ein kleines Geschenk, auch das sollte man bedenken, daher haben wir nur für Sie: das XXX-Pensionsvorsorgekonto, damit Sie sich auch morgen noch bewegen können.

Der Vampir kommt wieder

Ich starre ihn an. Mein Rücken beginnt zu schmerzen, mein Ohr zu wackeln, meine Füße zu zittern, XXX-Pensionsvorsorgekonto, hämmert es mir durch den Kopf. Der Vampir kommt wieder bei der Tür herein. Mein Gegenüber nimmt den Revolver und zielt auf ihn. Auch Vampire müssen einmal sterben, ruft er und drückt ab. Ein Wasserstrahl ergießt sich über den Vampirkopf. Schnell verzieht er sich wieder. Ob ich noch ein Gläschen möchte, fragt der Revolverheld. Ich schüttle den Kopf, nur raus von hier. Doch er schenkt mir bereits ein. Es freue ihn immer, wenn er Besuch bekomme, erzählt er mir. Schließlich lerne man seine Kunden auch gerne persönlich kennen und hilft, wo es auch nur geht, auch wenn es manchmal etwas schwierig sei. Ich nippe am Glas. Er wünsche uns jedenfalls alles nur erdenklich Gute, mir und meiner Kreditkarte. Im Übrigen könne ich ihn auch jederzeit anrufen. Er reicht mir meine Karte und schüttelt mir kräftig die Hand. Ich fühle mich, als hätte ich einen Orden erhalten.

Der Revolverheld verrückt die Augenbinde ein wenig, dann begleitet er mich zur Tür. Ich steige die Treppen runter, laufe an der Biene Maya und am Dagobert Duck vorbei, ein weißer Schwan kommt mir entgegen, ein Wachmann. Ich verlasse das Geldinstitut, betrachte meine Kreditkarte, die in der Sonne glänzt, golden. Ich fühle mich einen Meter größer als zuvor noch, als ich das Bankgebäude betreten habe. Da habe ich mich nämlich ganz klein gefühlt, so klein, dass ich mich gar nicht mehr gefühlt habe. Ich gehe ein paar Schritte, sehe den Herrn Spiessberger um die Ecke, er zieht sich eine schwarze Maske über, holt ein Schießgewehr hervor und stürmt hinein in das Geldinstitut, ein Schrei, ein Schuss, oh, oh, denke ich mir, umklammere fest meine Kreditkarte und husche schnell die Straße weiter. (Josef Kleindienst, Album, 6.2.2016)