Wien – Der Grundton ist von allem Anfang an klar: "Obwohl Mama Verdi und Puccini über alles liebt und keine Premiere in der Staatsoper versäumt, ist sie ein ausgemachtes Ekel." Ist sie wirklich, diese monströse Wiener Erfolgsanwältin, übergewichtig, herrschsüchtig, egomanisch, verächtlich, sexuell unausgelastet. Als Mutter eine Katastrophe.

Ihr Sohn, vierzig plus, farblos, linkisch, Stirnglatze, nicht nur stimmtechnisch eine Niete, ist ebenfalls Anwalt. Ein "Virtuose der Niederlagen", der sich mit jenen verhaltensoriginellen Klienten plagen muss, die für die gewichtige Frau Mama höchstens lachhafte Witzfiguren – und daher unerheblich – sind.

Traum und Wirklichkeit

Günther Freitags "Die Entführung der Anna Netrebko" (Wieser Verlag, 21 Euro, 259 Seiten) ist, ja, eine Art kombinierter Schlüssel- und Bildungsroman, ebenso sprachwitzig wie klug, der Montagabend in der Buchhandlung Frick präsentiert wird. Gnadenlos und bissig mischt Freitag Facts und Fiction, Traum und Wirklichkeit, erfundene Figuren und reale Persönlichkeiten. Da schimpft die Mutter (man erinnere sich: überheblich und dünkelhaft!) Claus Peymann einen "arroganten Lispler ... Keine Ahnung vom Theater, ein Sprücheklopfer, ein selbstverliebter Greis, den niemand außer dem Kunstminister ernst nehme."

Auch ihr Urteil über die amtierende Kulturministerin ist vernichtend: "Sie sei, nachdem sie eine staatliche Bank an den Rand des Ruins gewirtschaftet habe, statt in Untersuchungshaft genommen zu werden, als Ministerin angelobt worden, weil sie ... nichts über die Verwicklung anderer Politiker in die krummen Geschäfte der Bank ausplaudern werde." Der Staatsoperndirektor "grinste und zeigte mir ein Gebiss, das mich an ein Pferd erinnerte. Er sei auch Sänger gewesen. Sänger und Tennisspieler, was in Rumänien keine außergewöhnliche Kombination sei."

Innige Abneigung

Die innige Abneigung zwischen der Mutter, die nach einem Schlaganfall im Krankenhaus landet, und ihrem Sohn, der deswegen zumindest vorübergehend den Kanzlei-Chefsessel erklimmt, verlagert sich zunehmend auf die Kunst. Der Sohn erkennt, "dass die Musik das Gebiet ist, auf dem ich sie schlagen muss".

Zunächst ist es nicht Anna Netrebkos Stimme, sondern ihr Foto auf einem CD-Cover, das ihn zum gerade besessenen Bewunderer macht. "Putins Geliebte", spottet daraufhin die tenorgeile Mutter, "die selbst nach ihrem Zusammenbruch mehr als hundert Kilo wiegt ... Und jetzt dieser Weißrusse, Kasache oder Moldawier mit dem schwammigen Mondgesicht und seinem monströsen Bauch ... Neben dieser Schießbudenfigur wirke sie beinahe zerbrechlich."

Leider endet auch die Liebe zu Erica, einer Chorsängerin, im Fiasko. Wegen Anna natürlich. Die wird übrigens, so viel Spoiling darf sein, nicht wirklich entführt. (Andrea Schurian, 5.2.2016)