Thomas Bernhard wäre am 9. Februar 85 Jahre alt.

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Wien – Ein "Kalkwerk" als häusliche Bleibe? Das Unwohnlichkeitsbedürfnis des betreffenden Einmieters scheint beträchtlich. Der Protagonist in Thomas Bernhards Roman Das Kalkwerk (1970) hat sich in ein ebensolches verlassenes Industriegebäude zurückgezogen. Dort arbeitet der obsessive Monomane seit Jahrzehnten an einer Studie über das Gehör – ohne allerdings je den geeigneten Moment für eine Niederschrift derselben gefunden zu haben. Denn, so Konrad, im Kopf könne man schnell etwas haben, aber fast nie habe man etwas auf dem Papier!

Mit unfreiwilliger Hilfe seiner Ehefrau unternimmt dieser Konrad verschiedenste Hörversuche ("Heute nur Mitlaute!"). Er spricht hunderte Male täglich einmal leise, dann wieder laut in das Ohr seiner Gattin, in ihr linkes, dann auch in ihr rechtes, aus nächster Nähe oder aus einiger Entfernung – wie es die für seine Untersuchung ausgewählte sogenannte "Urbantschitsche Methode" eben vorsieht. Die Dame sitzt im Rollstuhl und kann sich des unentwegten Experimentierens nicht erwehren.

Als Gehörstudie ist Das Kalkwerk der Idealfall eines Hörspiels; es setzt die Anliegen seines eigenen Betrachtungsgegenstandes um: In den sadistisch-inbrünstigen Furor dieser Hauptfigur spielt und tönt sich der in Berlin beheimatete österreichische Schauspieler Felix Römer hinein. Er tänzelt stimmlich auf dem Reizgrad des übertrieben Künstlichen, was Bernhard zur eigenen Kunstform erhoben hatte. Dieser – im Übrigen bedachtsam gekürzten – Hörspielbearbeitung von Christian Lerch, die am Samstag anlässlich von Thomas Bernhards 85. Geburtstag (9. Februar) in der Ö1-Hörspielgalerie gesendet wird, liegt eine Stückfassung von Philipp Preuss zugrunde; er hatte Das Kalkwerk mit Römer an der Schaubühne Berlin 2014 furios inszeniert.

Höhepunkt des knapp einstündigen Monologs ist die Passage eines Traums, in dem Felix Römer ekstatisch alle Unbill des Versuchsgeschöpfs in Aggression wendet. Das Abschmecken des Wortes "Puderdose" erinnert dabei an das berühmte "Brandteigkrapfen"-Mantra von Gert Voss in Ritter Dene Voss. (Margarete Affenzeller, 5.2.2016)