Innenministerin Mikl-Leitner hat mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil das beste Einvernehmen. Sie sagt: "Die Menschen müssen zurück in die Türkei gebracht werden."

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Kanzler Werner Faymann hat seine Linie mit Verteidgungsminister Doskozil abgestimmt. Der Kurs ist korrigiert, die Asylpolitik schärfer geworden.

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Gestrandet an der Grenze zur Türkei: Ein Kind trägt seine Habseligkeiten, vorerst gibt es am Grenzübergang in Bab al-Salam kein Weiterkommen in Richtung Türkei.

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Zehntausende von Flüchtlingen warten nach der russisch-syrischen Offensive an der Grenze zur Türkei auf ihre Einreise. Die EU will sie aufhalten.

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Wien – Vor gar nicht langer Zeit geißelte Werner Faymann (SPÖ) den Zaun von Ungarns Premier Viktor Orbán zur Abwehr von Flüchtlingen noch so: "Antieuropäisch", "unmenschlich", "nicht wirkungsvoll". Mittlerweile sind vier Monate und Tausende weitere Asylwerber ins Land gezogen – und nun macht der Kanzler und SPÖ-Chef keinen Hehl daraus, dass er an möglichen Ausweichrouten "ein Grenzsystem wie in Spielfeld" bauen lassen möchte. Am Wochenende sprach Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) laut aus, was das bedeutet: mehr Zäune im Süden.

Vom Vorbild Merkel zum Orban-Kurs

Der Grüne Peter Pilz, der den Nationalen Sicherheitsrat zusammentrommeln will, sagt: "In halsbrecherischer Geschwindigkeit ist die Regierung von ihrem Angela-Merkel-Kurs zum Viktor-Orbán-Kurs gewechselt – zum Teil aus politischem Kalkül, zum Teil wegen eigener Hilflosigkeit."

Hintergrund: Die neuen Zaunbestrebungen sind nicht die einzigen Vorstellungen, wie Rot und Schwarz künftig Flüchtlinge vom Hoheitsgebiet der Republik fernhalten wollen – erstmals gemeinsam. In atemberaubendem Tempo legen Faymann, Mikl-Leitner und andere Regierungsmitglieder Vorschläge zur Eindämmung der Flüchtlingsbewegung vor – und versuchen sich dabei teilweise an Rigidität zu überbieten.

Strache lässt grüßen

Den bisher spektakulärsten Vorstoß setzte der Kanzler höchstpersönlich aber in den auflagenstärksten Blättern Krone und Österreich. Am liebsten würde Faymann an der griechischen EU-Außengrenze von der Grenzschutzagentur Frontex aufgegriffene Flüchtlinge direkt in die Türkei zurückschicken. Mikl-Leitner bestätigt dem STANDARD die neu akkordierte Regierungslinie: "Ich sage seit einem Jahr, dass im Mittelmeer an erster Stelle natürlich das Retten stehen muss. An zweiter Stelle darf aber nicht die automatische Einreise in die EU stehen. Die Menschen müssen zurück in die Türkei gebracht werden."

All das gemahnt stark an das australische Modell unter dem Slogan "Stop the Boats", das FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache seit geraumer Zeit für Europa einfordert. Denn seit die australische Marine selbst Flüchtlinge auf nicht mehr seetauglichen Booten einfach in Rettungsboote steckt und kurzerhand zurückschickt, hat es 2014 und 2015 kaum mehr ein Schiff mit illegalen Einwanderern auf den Kontinent geschafft.

Aus mit Willkommenskultur

Ein Roter, der die Nervosität in der Regierung nach dem Festschreiben ihrer jährlichen Richtwerte vulgo Obergrenzen für Flüchtlinge beschreibt, klagt: "Bei jedem Schritt, den wir nach rechts setzen, setzt die ÖVP noch lauter einen drauf – und stets hören wir, dass wir die Schuld tragen an der bisherigen Willkommenskultur."

Die koalitionäre Unruhe angesichts ihrer 37.500 erlaubten Asylanträge allein für heuer ist nicht unberechtigt: Wegen der jüngsten syrisch-russischen Offensive harren schon zehntausende weitere Flüchtlinge an der türkischen Grenze aus. Dazu machen sich laut Schätzungen aus Afghanistan pro Tag bis zu 5000 Menschen, vor allem junge Männer, auf, mehrheitlich in Richtung Europa. Faymanns gebetsmühlenartiges Dogma, dass die beste Hilfe der Union immer noch jene vor Ort sei, hat sich offensichtlich überlebt.

Obergrenzen und dichte Grenzen

Die SPÖ hat sich ihre neue scharfe Linie auch von der Parteibasis absegnen lassen, nicht zuletzt um den Kritikern in den eigenen Reihen, die es auch gibt, den Wind aus den Segeln zu nehmen. In einer E-mail-Umfrage wollte die Parteizentrale von den SPÖ-Mitgliedern ihre Meinung zur Asylpolitik wissen. Es kam Zustimmung zu Richtwert/Obergrenze und zu einer generell schärferen Linie in der Asylpolitik. Den Schönheitsfehler, dass insgesamt nur von 5,6 Prozent der eingetragenen Genossen eine Antwort kam, wischt man in der SPÖ vom Tisch. Faymann weiß die großen Boulevardmedien und wohl auch einen Großteil der Bevölkerung hinter sich, die sich einen strengeren Umgang mit den Flüchtlingen wünschen. Jetzt gilt es, einen vertretbaren Kurs zwischen "Grenzen dicht" und einer Asylpolitik zu finden, die noch das Prädikat "human" verdient.

Schwarze Erleichterung

In der ÖVP ist man über den Richtungsschwenk des Kanzlers und damit der SPÖ erfreut. Seit Faymann der von der ÖVP so dringlich geforderten Obergrenze zugestimmt habe, laufe es auch in der Regierung wieder besser. Erstmals werde eine gemeinsame Linie in der Flüchtlingspolitik vertreten, das sei auch nach außen hin sichtbar, frohlocken ÖVP-Vertreter, die es sich aber den Hinweis nicht verkneifen können, dass Faymann jetzt das mache, was Mikl-Leitner oder Außenminister Sebastian Kurz immer schon gesagt haben.

Die gemeinsame Linie bestehe darin, was Kanzler Faymann als "Plan A" und "Plan B" bezeichnet: international Druck machen, aber national schon alle Vorkehrungen treffen, um die eigenen Grenzen dichtmachen zu können, wenn sich in der EU nichts tut. Kurz, Mikl-Leitner, Mitterlehner, Faymann und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil arbeiten einander erstmals in die Hände statt gegeneinander, und das nicht zufällig, sondern abgesprochen.

Kurskorrektur

Für diesen Richtungsschwenk Faymanns gibt es in Regierungskreisen eine einfache Erklärung: die Realität. Dass Österreich im heurigen Jahr noch einmal 90.000 Flüchtlinge aufnehme, sei völlig ausgeschlossen. Das übersteige einerseits die Kapazitäten, andererseits sei das der Bevölkerung nicht mehr zu verkaufen. Die Stimmung sei am Kippen – oder bereits gekippt. Mit einer "Refugees welcome"-Haltung könne man niemanden mehr beeindrucken. Auch bis tief hinein in linke Kreise der SPÖ und auch bei den sonst so kritischen Künstlern habe sich die Ansicht durchgesetzt, dass man nur mit einem restriktiven Kurs Herr der Lage werden könne.

Die rote Angst vor dem Wasserwerfer

Die Angst vor einer nicht mehr überschaubaren Situation habe auch jene erfasst, die der Aufnahme von Flüchtlingen ursprünglich aufgeschlossen gegenüberstanden. Die Willkommenskultur wird auch in der SPÖ abgelehnt, es sei nur noch eine kleine Minderheit, die das anders sehe.

Die "Kurskorrektur", die Faymann vollzog, sei der Ernüchterung geschuldet. Die europäische Lösung sei die bessere, dabei bleibe Faymann, aber sie sei derzeit nicht absehbar. Und bevor die "anständigen" Regierungen aus dem Amt gejagt würden und die radikale Rechte Europa übernehme, müssten auch Maßnahmen gesetzt werden, die der Beruhigung der Bevölkerung dienten. Was niemand wolle, ist eine Eskalation der Situation, dass etwa in Spielfeld Wasserwerfer gegen Flüchtlinge eingesetzt werden müssten. (Michael Völker, Nina Weißensteiner, 8.2.2016)