Es ist ein Dreivierteljahr her, dass im Mittelmeer binnen weniger Tage gleich zwei größere Schiffe mit Flüchtlingen gesunken sind. Sie waren auf dem Weg von Libyen nach Lampedusa in Italien. Die Bilanz fiel katastrophal aus: Mehr als eintausend Menschen fanden den Tod.

Das bis dahin untätige Europa zeigte sich schockiert. Damals war von einer weiteren Eskalation der Lage in Syrien (wie den jüngsten Bombardements der Assad-Truppen mit russischer Hilfe auf Aleppo), von noch größeren Flüchtlingsströmen, noch gar keine Rede. Alle Augen waren auf das Geld, den Euro, die Krise in Griechenland gerichtet. Und den IS-Terror.

Die Staats- und Regierungschefs der Union beriefen Ende April einen EU-Sondergipfel ein. Dort riefen sie nicht nur die (vor allem) von Natostaaten gestützte Aktion "Sophia" ins Leben. Die Marine sollte Flüchtlinge vor dem Ertrinken retten und Schlepper militärisch bekämpfen. Sie beauftragten gleichzeitig auch die EU-Kommission damit, Konzepte auf den Tisch zu legen, wie man in einer neuen Migrationspolitik zur faireren Lastenverteilung kommen könnte; und wie man neue Finanzierungsformen findet.

Aus heutiger Sicht staunt man fast, wie umfassend schon damals die Sicht der 28 EU-Staaten und ihrer gemeinsamen Institutionen auf die gesamte Problemlage bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise aus dem Nahen und Mittleren Osten war. Noch erstaunlicher ist nur, wie wenig von all den Plänen, den Erklärungen und Beschlüssen nach gut einem Dutzend EU-Gipfeln seither umgesetzt wurde.

Der Grund ist einfach: Der Wille der EU-Partner, gemeinsam etwas zu lösen, war sehr schwach, so sehr die Kommission sich zunächst auch bemühte, "Kontingente" zur Aufteilung der Flüchtlinge mit der Brechstange (und viel EU-Geld) durchzudrücken. Deutschland und Österreich zeigten sich damals noch mäßig an solchen "europäischen Lösungen" interessiert.

Wirklich funktioniert hat eigentlich nur, das große Sterben auf der zentralen Mittelmeerroute von Libyen zu beenden. "Sophia" ist fast schon in Vergessenheit geraten, obwohl nach wie vor zehntausende Flüchtlinge über Italien in Unionsstaaten kommen.

Stattdessen hat sich alles Geschehen (und die öffentliche Aufmerksamkeit) in den vergangenen sechs Monaten auf die Flucht über die "Balkanroute" verlagert; und auf den Umstand, dass nun in der EU nicht Italien, sondern zuerst Griechenland – und in der Folge Deutschland, Schweden und Österreich voll betroffen sind.

Lösungen auf EU-Ebene gab es seither nicht. Warum auch? Seit der großzügigen Geste von Kanzlerin Angela Merkel im September, ihr Land für den Großteil der ankommenden 1,3 Millionen Flüchtlinge in der Union zu öffnen, bestand für die Partnerstaaten kaum Anlass, selbst größere Lasten zu übernehmen. Die Einbindung der Türkei ab Oktober brachte zwar viele Lippenbekenntnisse, aber wenig Konkretes. Genau das scheint sich im Moment zu ändern. Merkel hatte lang auf eine gesamteuropäische Lösung gesetzt. Da das nicht ging, rückt jetzt eine "Gruppe der willigen EU-Staaten" ersatzweise aus, um den illegalen Flüchtlingsstrom in eine legale Bewegung umzuwandeln: mit Restriktionen.

Die österreichische Regierung spielt an vorderster Front mit, wie sich rund um den EU-Gipfel nächste Woche abzeichnet. Kanzler Werner Faymann wurde erneut gebeten, einen Sondergipfel jener Regierungschefs vorzubereiten, die zur Tat schreiten wollen. (Thomas Mayer, 8.2.2016)