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Die deutsche Vorstellung vom Indianer wurde auch filmisch maßgeblich geprägt. Winnetou bekam durch Pierre Brice (rechts) ein Gesicht. Hier in einer Szene des Films "Winnetou III" von 1965 neben seinem Freund Old Shatterhand, dargestellt von Lex Barker (links).

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Wien – Der deutsche Held heißt nicht Siegfried, sondern Winnetou. Seit er in Karl Mays Romanen gegen Ende des 19. Jahrhunderts auf der Bildfläche erschien, haben Generationen zu dem Apachen mit der Silberbüchse aufgesehen. Das hat auch im deutschsprachigen Raum das Bild der amerikanischen Ureinwohner nachhaltig geprägt. Edel, hilfreich, tapfer und gut – auf dem Pferd unterwegs durch die Prärie: So stellen sich immer noch viele die indigene Bevölkerung Amerikas vor.

Das ist jedoch ein Trugbild, sagt Nicole Perry vom Institut für Germanistik der Universität Wien: "Dieses Klischee hat wenig gemeinsam mit jenem Leben, das die Nachfahren der amerikanischen Ureinwohner heute führen."

Verklärte Bewunderung

Als Lise-Meitner-Stipendiatin des Wissenschaftsfonds FWF, untersucht Perry, wie diese kollektive Vorstellung konstituiert wird und wie indigene Künstler sich mit diesem Klischee auseinandersetzen.

Die Philologin analysiert verschiedene performative Zugänge von Musikern, Performancekünstlern und Filmemachern, die in ihrer Dekonstruktion eines idealisierten Indianerbildes Widersprüche dieser Sichtweise offenlegen und Stereotypen thematisieren. Die Künstler wollen so aufzeigen, dass die verklärte Bewunderung der amerikanischen Ureinwohner ebenso eine Form der Diskriminierung ist.

Perry: "Ein positives Vorurteil bleibt ein Vorurteil. Mit der Dekonstruktion solcher Vorstellungen versuchen indigene Kunstschaffende, ihre Kultur zurückzuerobern." So montierte etwa der Filmemacher Bear Witness Ausschnitte aus Karl-May-Filmen und Videospielszenen, um deutlich zu machen, wie klischeehaft die Darstellung der Indianer im deutschen Nachkriegskino war.

An dem den Deutschen so lieben Karl May kommt man nämlich bei diesem Thema nicht vorbei. Perry hat sich bereits in ihrer Dissertation mit dem deutschen Abenteuerromanautor auseinandergesetzt, den sie als die wesentliche und prägende Kraft für das deutsche Indianerbild ansieht: "Die Vorstellung der amerikanischen Ureinwohner stützt sich in Deutschland zu einem guten Teil auf das neoromantische Bild, das Karl May mit Winnetou als Identifikationsfigur vermittelt."

Dass Karl May von Anfang an so erfolgreich war und zu einem der Lieblingsautoren der Deutschen wurde, lag laut Perry vor allem daran, dass er einen Nerv traf: Sein fiktives Amerika befriedigte zur Zeit der Industrialisierung die Sehnsucht der Bevölkerung nach einem Ort, an dem man sich neu erfinden kann wie Old Shatterhand, der wie zahlreiche von Mays Romanfiguren ein deutscher Einwanderer ist.

Eigentlich ist das auch die wahre Nationalität Winnetous. Wie diesen Indianer stellte man sich im wilhelminischen Kaiserreich den idealen deutschen Mann vor: aufopferungsvoll, loyal und tapfer. So wurde Winnetou zum Idol einer Nation – auch in ihrer dunkelsten Stunde: Adolf Hitler, ein begeisterter Karl-May-Leser, bezeichnete den Häuptling der Apachen laut Albert Speer als das "Musterbeispiel eines Kompanieführers". Perry gibt zu bedenken: "Der Pazifist Karl May hätte sich angesichts dieser Instrumentalisierung im Grab gedreht." 500.000 Bände Karl May wurden insgesamt an das deutsche Heer ausgegeben: Winnetou, der sich nie ergibt und für sein Vaterland stirbt, sollte den Soldaten auf dem Weg in den Untergang als fatales Vorbild dienen.

Rückkehr in die Idylle

Der Liebesbeziehung zwischen May und den Deutschen tat das aber keinen Abbruch – im Gegenteil: Durch die Buchadaptionen, die zu Beginn der 1960er-Jahre in die Kinos kamen, wurde die Rezeption Karl Mays noch einmal intensiviert und von einer neuen Generation vollzogen. Aus der Tristesse der Nachkriegsrealität flüchtete man nun in die jugoslawischen Berglandschaften, durch die die Leinwandhelden ritten – eine kulturhistorische Konstante, meint die Wissenschafterin: "Für die Deutschen verkörpert der Mythos Winnetou eine Alternative zur europäischen Realität. Sowohl im 19. Jahrhundert als auch nach dem Zweiten Weltkrieg dienten Winnetou und die indigenen Charaktere der Romane und Filme als Repräsentanten eines Kampfs gegen die Moderne und der Sehnsucht nach einer Rückkehr in eine ursprüngliche Idylle."

So wurde die deutsche Vorstellung vom Indianer auch filmisch maßgeblich geprägt und bekam dazu mit Pierre Brice ein Gesicht, das im kollektiven Gedächtnis vom amerikanischen Ureinwohner nun nicht mehr zu trennen war. Perry: "Durch das Medium des Films wurde das romantische Bild der Ureinwohner als Repräsentanten einer vergangenen Zeit über Generationen hinweg stabilisiert."

Im kulturellen Gedächtnis

Die Sauerkraut-Western zogen das Publikum auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs in ihren Bann: In der DDR entstand ebenso eine Reihe von Karl-May-Filmen, mit denen auch Propaganda gegen den "Klassenfeind" gemacht wurde: Mit klaren antiamerikanischen und antikapitalistischen Tendenzen wurde die Besiedlung als kriminelle Landnahme dargestellt, weshalb die Indianer hier noch ein bisschen edler dargestellt sind als in den westdeutschen Varianten.

Aber auch heute noch sind Karl Mays Figuren weiterhin ein äußerst wertgeschätzter Teil des deutschen kulturellen Gedächtnisses, wie die Forscherin selbst zu spüren bekam: Eine Vorführung der von ihr untersuchten Dekonstruktionen auf der Berlinale löste kontroverse Diskussionen aus: "Kindheitserinnerungen und Sehnsüchte lässt man sich nur ungern nehmen. Winnetou ist in Deutschland heilig."

Ob für die nächsten deutschen Generationen Karl May auch so einen prägenden Eindruck hinterlassen wird, bezweifelt Perry. Im Zuge der Globalisierung habe sich auch der Medienkonsum immer mehr vereinheitlicht: In den meisten Kinderzimmern hat Winnetou schon längst das Zepter an Harry Potter abgegeben. (Johannes Lau, 11.2.2016)