Ein getrenntes Ehepaar kommt auf Bitte des verstorbenen Sohnes im Death Valley wieder zusammen – und verliebt sich neu: Isabelle Huppert und Gérard Depardieu, in "Valley of Love", dem ersten gemeinsamen Film der beiden seit 35 Jahren.

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Guillaume Nicloux greift nach der Intensität des Moments.

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Wien – Die Sonne brennt stur herunter. Schatten sind rar. Nur der Tourismus zeugt an dem dürren Ort von Leben. Die Eltern sind auf Veranlassung des Sohnes hier. Er hat sich umgebracht und sie in seinem Abschiedsbrief ins kalifornische Death Valley bestellt. Die beiden sind schon lange voneinander getrennt, nun müssen sie sich an seine Anweisungen halten. Nur dann, so verspricht er in seinem Schreiben, würde er sich ihnen noch einmal zeigen.

Guillaume Nicloux' Valley of Love erzählt die Geschichte einer Verabredung, und er erzählt sie auch nicht. Man kann die Ausgangsidee auch einfach als Setting verstehen: als Einladung an zwei Schauspieler, mit der eigenen Starpersona zu spielen. Der französische Regisseur setzt hier fort, was er in Die Entführung des Michel Houellebecq (2014) begonnen hat: Er vermischt die öffentliche Person mit der erfundenen eines Films – Houellebecq, der Schriftsteller, verkörperte damals ein Double seiner selbst.

In Valley of Love treibt Nicloux nun zwei Giganten des französischen Kinos in die Manege. Isabelle Huppert und Gérard Depardieu haben – man mag es kaum glauben – seit 35 Jahren nicht gemeinsam gespielt. In Maurice Pialats Loulou (1980) waren sie ein Mann und eine Frau, die auf ihre sozialen Unterschiede, auf ihre Herkunft zurückgeworfen werden. In Valley of Love teilen sie eine imaginäre Vergangenheit, die in der Gegenwart weiter wirksam bleibt.

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Eine Mise en abyme, eine Spiegelkonstruktion von Bildern, sei der Film, so Nicloux im Standard-Interview. Die Grenzen zwischen dem richtigen Leben und der Fiktion verwischen sich. "Mit dieser Methode, diesem Alibi einer Fiktion, vermochte ich das Wort Dokumentarfilm loszuwerden. Man verwendet den Begriff immer synonym mit Wahrheit, aber er ist genau das Gegenteil: Nichts ist mehr Fake als das Dokumentarische. Die Wahrheit findet man nur in der Fiktion."

Valley of Love gibt mithin einen Rahmen vor, damit der Intimität auf die Sprünge geholfen wird. Aber ist es die Vertrautheit der beiden Darsteller oder jene der Figuren, die sich auf der Leinwand manifestiert? Es ist jedenfalls eine, die nicht vieler Worte bedarf; eine, die auch auf die sonderlichen Seiten des anderen Wert legt.

Am Anfang geraten sich die beiden oft in die Haare. Beide haben den Trip nur unwillig angetreten. Gérard liebt immer noch das Maßlose, Isabelle hat ihre sensible, feinnervige Seite kultiviert. Er ist gierig, sie eher verhalten. Er wird in seiner riesenhaften Körperlichkeit gefilmt, sie wirkt fast noch schmäler als gewohnt. Der Zauber des Films kommt jedoch daher, dass man das Gefühl gewinnt, die Figuren wüssten noch viel mehr voneinander.

"Ich habe die filmische Mythologie der beiden genutzt und mir vorgestellt, sie hätten in der Zwischenzeit ein Kind miteinander bekommen", erklärt Nicloux seinen Gedankengang. "Ihre Liebe ging auf dem Weg irgendwann verloren – und als Folge des Todes dieses Kindes verlieben sie sich erneut." Die Intimität sei ein Ergebnis verschiedener Dynamiken, die jeder aus Beziehungen kennt. "Es ist erstaunlich, wie viele Brücken sich von selbst ergeben."

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Kleine Aufmerksamkeiten verraten schließlich, dass die beiden das Bild des anderen zurechtzurücken beginnen. Man passt aufeinander auf, tauscht ungeschickt kleine Zärtlichkeiten aus, trinkt gemeinsam Rotwein im Zimmer. Zugleich spitzt sich die existenzielle Situation zu, auch die eigene Vergänglichkeit rückt in den Blick. Depardieu laufen die Schweißbäche über das Gesicht, einmal begegnet er sogar einer Art Todesengel. Bei Huppert treten im Schlaf seltsame Male auf Händen und Füßen auf.

Valley of Love konfrontiert den Zuschauer mit der eigentümlichen Verbundenheit, die er mit Ausnahmedarstellern teilt. Ist ein Regisseur von ähnlichen Motiven umgetrieben, wenn er zwei Stars vor der Kamera hat? "Natürlich hat der Film auch etwas Egoistisches. Ich bin ein Egoist. Und ich bin auch prätentiös, denn man muss prätentiös sein, wenn man im Wettkampf mit einem mythischen Paar etwas Besonderes erfassen will."

In einer der stärksten Szenen des Films glaubt Depardieu dann tatsächlich, den Sohn gesehen zu haben. Huppert hat den Augenblick verpasst. Die Situation eskaliert, die beiden stehen sich in der Wüste brüllend gegenüber. Kann man solche Szenen planen? "Ich konnte es nicht voraussehen. Ich bin der erste Zuschauer meines Films. Depardieu wurde wütend, Huppert begann zu schreien – und es gab keinen zweiten Take. Das mache ich praktisch nie. Ich möchte nichts reproduzieren. Ich möchte nur nach der Intensität und Energie eines Augenblicks greifen." (Dominik Kamalzadeh, 10.2.2016)