Stephan Vary schlüsselt Codes von Unternehmen auf und setzt diese dann spielerisch in Produkte um.

Foto: Andreas Scheiblecker

Hier ist die swingende Beer Bar für Verkostungszwecke zu sehen.

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Die Leuchte "Loos Lamp Nr. 3 / Weaver".

Foto: Andreas Scheiblecker

Labverts Römerquelle-Entwurf.

Foto: Labvert

Hier gibt's den gläsernen Parfumtester für Dior ...

Foto: Andreas Scheiblecker

... und eine Whiskyteststation für Royal Salute in Form kleiner Keramikglocken.

Foto: Andreas Scheiblecker

Am Anfang war die Flasche. Mittlerweile kennt den Entwurf der dicken, grünen Römerquelle-Flasche fast jeder. Gestaltet hat sie der Designer Stephan Vary vom Büro Labvert vor gut zehn Jahren. Das Besondere an ihr ist der Durchmesser des Flaschenhalses. Dieser fällt deutlich größer aus als bei ihren Artgenossinnen. Das verleiht dem Objekt ein Stück weit den Charakter einer Karaffe.

Charakter suchen, finden und diesen einem Gegenstand einzuhauchen, das ist die Spezialität des 42-jährigen Vary und der zehn Mitarbeiter seines Studios im dritten Bezirk. Dieses beschäftigt sich mit Interieur und Städtebau aber auch mit klitzekleinen Dingen. Bei einem der Kleinteile handelt es sich um einen Parfumtester für Dior, ein Unternehmen, mit dem Vary ebenso zusammenarbeitet wie mit Armani, Hennessy oder Royal Salute. (Wem's entfallen ist: Der Whisky Royal Salute von Chivas Regal wurde 1953 für die Krönung von Königin Elizabeth II kreiert.)

Parfumtester klingt jetzt vielleicht nicht so sexy, das Ding ist allerdings derart zauberhaft, dass schon so manche Kundin zum Langfinger wurde, erzählt Vary. Es handelt sich um ein kleines, trichterförmiges Objekt aus Glas, in dessen Innerem sich ein Keramikzylinder befindet, der als Träger des Duftes herhält. Ein schmuckstückhaft anmutender Glaskegel, den die Kundschaft vor dem Schnuppern abnimmt, behütet das Aroma.

Schnüffelskulptur

Schluss also mit dem lästigen und niveaulosen Papierstreifengesprühe. Labvert will mit diesem Entwurf nicht nur das Objekt an sich aufwerten, sondern das Probeschnüffeln zu einer Zeremonie erheben. Der Name Labvert ist übrigens eine französisch anmutende Zusammensetzung aus Lab für Laboratorium und dem Französischen vert für Grün. Zweiteres ist eine Erinnerung an die erste Studioadresse in der Grüngasse.

Eine ganz andere Dimension als der Testflakon zeigt das Konzept für einen Fußgängerübergang vom Wiener Millennium-Tower zur Donau. Dieser besteht aus einer lebendig wirkenden Brücke, die von zwei imposanten, offenen Kugeln gebildet wird. Die Riesenbälle wirken, als würden sie zum Strand hinrollen. Spacig und cosy zugleich.

"Es macht viel mehr Spaß, zwischen den Dimensionen zu switchen, als den hundertsten Entwurf für irgendeinen Architekturwettbewerb einzureichen", sagt Vary, der an der Wiener Angewandten bei Paolo Piva Design und Architektur bei Wolf D. Prix studierte und auch am Southern California Institute of Architecture in Los Angeles lernte. "Außerdem gibt's viel mehr Überraschungen. Allein deshalb rotiere ich gerne zwischen den Disziplinen. Die großen Kugeln vom Millennium-Beach zum Beispiel, sie inspirierten uns zu einem kleinen Schmuckanhänger."

Zwischen Architektur und Schmuckstück findet sich vieles im Portfolio von Labvert. Da wären die Villa Birkensee, der Dior-Conceptstore in Covent Garden, zahlreiche Geschäfte für Giorgio Armani Kosmetik, das Erdgeschoß des Wiener Herrenausstatters Sir Anthony, das Geschäft Le Parfum in Wien, die Leuchte "Loos Lamp Nr. 3" und diverse Einrichtungen für Hennessy.

Ebenso von Labvert stammt die Verkostungsbar, die für die "craft beer Brauerei R. M. Müller Bier" entworfen wurde. Es handelt sich dabei um einen großen, geschwungenen, fast gespaltenen Tisch, dessen Oberfläche die Farbnuancen von Bier wiedergibt. In der Mitte des Tisches sind fünf neu entwickelte Tonkühler eingelassen.

Kanzleicharakter

Betritt man das Studio unweit des Wiener Rochusmarkts, findet man sich in einer äußerst großzügigen Gründerzeitwohnung im Mezzanin wieder. Anders als viele andere Designbüros, wirkt dieses äußert leer und aufgeräumt. Keine Regale voller Prototypen, keine Bücherwände, auch keine Werkbänke.

Die Mitarbeiter, die konzentriert vor ihren Bildschirmen sitzen, könnten genauso gut Buchhalter sein. Doch die hier jonglieren keine Zahlenreihen von Bilanzen über die Bildschirme, sondern Formen und Farben. So klar und bis ins Letzte ausgetüftelt die Entwürfe von Labvert rüberkommen, so durchdacht wirkt auch die Arbeitsstätte der Gestalter.

Wie kriegt man Menschen, die immer weniger Zeit zum Shoppen haben, bei einem immer größer werdenden Angebot in der Hektik des Flughafenbetriebs dazu, vor der Präsentation eines Produktes innezuhalten? So lautet eine der Fragen, die man sich bei Labvert stellt.

Für Royal Salute, den erwähnten Whisky, schufen Labvert eine Art Teststation, die wie im Falle des Parfumtesters mehrere Sinne erfreut: Unter kleinen Keramikgefäßen verstecken sich Schälchen, die mit dunkelgoldfärbigem Whiskey gefüllt sind. Sie erinnern ein bisschen an die metallenen Glocken in Hotelrezeptionen. Der Passant hebt die Glocke und riecht daran. Und dürfte erstaunt sein, wie sehr die Keramik das Aroma frisch und lebendig aufnimmt und an die Nase weitergibt.

So, wie es Langfinger bei Dior gibt, wird es wohl auch hier den einen oder anderen Schluckspecht geben, der sich nicht mit dem Riechen begnügt. Wunderbar analog sind die Gefäße, die übrigens von der Wiener Manufaktur Feine Dinge gefertigt werden, auch noch.

Vary will Stimmungen schaffen, die Geschichte hinter altehrwürdigen Unternehmen erlebbar machen, Collagen kreieren, um Codes von Marken aufzuschlüsseln. Wichtig ist ihm dabei der Charakter des spielerischen Ausprobierens. Auch von Adolf Loos und seinem Geschäftsentwurf für Knize am Wiener Graben ist Vary angetan, so wie überhaupt vom Loos'schen Gespür für Innenräume. Darin, das Wesen einer Marke zu erkennen und daraus eine neue Substanz zu entwickeln, erkennt er durchaus Gemeinsamkeiten.

Überhaupt kommt man in Sachen Labvert an Loos nicht vorbei. Das Studio schuf – inspiriert von einer Loosleuchte aus dem Jahr 1930 – die "Loos Lamp Nr. 3", eine Hängeleuchte in Dodekaederform, also ein Objekt mit zwölf Flächen. Bei Labvert nennt man das einen "gestalterischen Dialog der Generationen".

Was Adolf Loos wohl zum Jahre 2016 sagen würde? "Der Loos war ein frecher Kerl, aber er müsste wohl auch heute seinen eigenen Weg finden. Zu seiner Zeit gab es diese Form des Kapitalismus nicht. Wer weiß, vielleicht hätte Adolf Loos heutzutage auch einen ganz anderen Job?" Vielleicht.

Nachdem der Espresso aus der chromstahlblitzenden Maschine gekippt ist, bleibt noch die Frage, wie Vary es geschafft hat, Namen wie Dior und Co auf seine Kundenliste zu bringen. "Nach meinem Studium hab ich die Kosmetiklinie P2 von Palmers gestaltet. Dann ging es irgendwie über L'Oréal Österreich zu L'Oréal Paris, Giorgio Armani und Dior. Und wenn du einmal drinnen bist, dann bist du drinnen." Und das Innenleben dürfte Vary schon immer mehr interessiert haben als die Fassade. (Michael Hausenblas, RONDO, 25.2.2016)