Conrad: "Großartige Kreative sind Verkäufer-Poeten."

Foto: Andrea Vollmer

STANDARD: Sie sind 1952 aus Leipzig in den Westen geflüchtet. Heute ist Europa mit einer großen Flüchtlingsbewegung konfrontiert. Kann Werbung hier helfen, eine Willkommenskultur zu etablieren?

Conrad: Werbung kann und soll hier helfen. Der Slogan steht mit Angela Merkels Motto: "Wir schaffen das" oder "Wir können das schaffen". Nach erfolgreicher PR-Weisheit "Tue Gutes und rede darüber" sollten tausende bewegende Taten der "Helden" dieser Willkommenskultur erzählt werden, die den Geflüchteten helfen, in Europa ein würdiges Leben zu finden. Ich kann mir auch die Initiative "Flüchtlinge helfen Flüchtlingen" vorstellen, die ehemalige, gut integrierte, erfolgreiche Flüchtlinge gewinnt, sich zu engagieren.

STANDARD: Durch den Manipulationsskandal ist das Image von VW ramponiert. Ihr Rezept für VW?

Conrad: VW soll Interviews mit denen machen, die sich geschädigt fühlen. Diese Interviews würde ich veröffentlichen und mit folgendem Versprechen enden: "Wir werden das reparieren! Volkswagen." Darüber hinaus würde ich eine unabhängige Prüf-Autorität etablieren. Werbung, die neue Autos vorstellt, soll dann nur noch sachbezogene Auslobungen der Leistungen enthalten, die von dieser Prüfstelle bestätigt werden.

STANDARD: Was muss eine Kampagne können, um bei Ihnen so richtig gut anzukommen?

Conrad: Sie muss Appetit machen, mich anregen, etwas Neues auszuprobieren, meine Meinung über etwas zu ändern oder sie zu bestätigen, zu festigen, mir hel-fen, meine Kaufentscheidung zu rechtfertigen. Und wenn die Kampagne besondere Qualitäten hat, dann möchte ich sie weitergeben, besprechen, zitieren, beklatschen.

STANDARD: Welche Kampagnen haben das in den vergangenen Monaten geschafft?

Conrad: Always mit "Like A Girl" von P&G und Leo Burnett. Im deutschsprachigen Raum die Opel-Kampagne. Opel-Produkte sind seit einigen Jahren sehr konkurrenzfähig, aber ihr Image überhaupt nicht. "Umparken im Kopf" hat das geändert und ist ein hervorragendes Beispiel dafür, was Werbung leisten kann.

STANDARD: Wie müssen Kreative heute ticken? Wo sehen Sie die Unterschiede zu Ihren Anfängen Ende der 60er-Jahre?

Conrad: Digitale Medien und Plattformen machen den wesentlichsten Unterschied und eröffnen kreativste Möglichkeiten für Kommunikation. Großartige Kreative sind Verkäufer-Poeten – heute wie damals. Sie verstehen ihre Kunden, verstehen mit Idee zu verkaufen, können sich in das Leben der Menschen einfühlen und kommunizieren poetisch. Die größte Herausforderung für Kreative bleibt es, Klischees zu vermeiden.

STANDARD: Onlinemedien kämpfen mit einer größer werdenden Zahl an Usern, die mittels Adblocker Werbung blockieren. Welche Antwort hat die Werbewirtschaft?

Conrad: Generell finde ich, ist es mittlerweile eine sehr legitime Reaktion der User auf eine wachsende Belästigung von Privatsphären. Man hat zunehmend das Gefühl, ein Kontakt zu sein, der vermarktet wird. Online-Medien sollten Adblocking akzeptieren. Die Antwort der Werbewirtschaft sollte sein, Medien zu bevorzugen, die vom Nutzer als Werbeträger akzeptiert sind und die Qualität produzieren, an der der Nutzer interessiert ist.

STANDARD: Print kämpft mit zurückgehenden Anzeigenvolumina, Inserate werden oft totgesagt.

Conrad: Gedruckte Medien sollten sich fragen, ob sie sich bei Werbungstreibenden und ihren Agenturen richtig vermarkten. Und zweitens ist es leicht, ein Medium totzureden, wenn Kraft, Zeit und Talent, hervorragende Werbung zu machen, nicht eingesetzt wird – oder nicht finanziert wird. Mehr als 80 Prozent der gedruckten Anzeigen sind uninteressant, also ziemlich wirkungslos. Misserfolge sollte man deshalb nicht auf den Werbeträger schieben. Eine Anzeige ist dann richtig gut, wenn sie dem Betrachter einen augenblicklichen Mehrwert bietet. Ich bin mit Werbung in Printmedien aufgewachsen. Wir haben die Dinger nicht aus dem Ärmel geschüttelt. Wir haben an einer Anzeige oft wochenlang designed, geschrieben, Artwork hergestellt. Das scheint mir verlorengegangen zu sein und sollte unbedingt wieder aktiviert werden. Der Ball liegt bei den Agenturen.

STANDARD: Sie sind immer wieder als Jurymitglied bei Award-Shows tätig. Oft wird kritisiert, dass Arbeiten nur für Wettbewerbe entwickelt werden.

Conrad: Kritik, dass häufig Arbeiten nur für Wettbewerbe entwickelt werden, ist immer angebracht. Awards dürfen nicht das erste Ziel der Agentur, ihrer Kreativen und der Werbungstreibenden sein. Es kann aber durchaus das zweite Ziel sein. Denn von kompetenten Jurys ausgezeichnete Arbeiten setzen die Qualitätsstandards.

Bei Leo Burnett Worldwide haben wir vier repräsentative Untersuchungen zwischen 1986 und 2002 unter dem Titel "Does Award Winning Advertising Sell Product And Build Brands?" durchgeführt mit folgendem Ergebnis: 80 bis 86 Prozent der Kampagnen, die mit großen Awards ausgezeichnet wurden, hatten nicht nur das anvisierte Ziel erreicht, sondern es meistens übertroffen. Der Rest teilte sich in "falsches Produkt" für die Werbung, "falsche Strategie", ungenügendes Media-Budget. Ein Prozent der ausgezeichneten Awards waren "nur fürs Festival gemacht". Die vier Untersuchungen haben gezeigt, dass die Marken, die über den Zeitraum von 16 Jahren mehrmals große Awards für ihre Kommunikation bekamen, neue Marken-Ikonen wurden, wie Levi's, Nike, Benetton, H&M oder Ikea.

Die Einsichten dieser Untersuchungen haben zum Beispiel Anfang 2000 unseren Kunden Procter & Gamble überzeugt, sich mit den Cannes Lions auseinanderzusetzen und an diesem Festival teilzunehmen, zu lernen und damit viele werbetreibende Unternehmen motiviert, es ihnen gleich zu tun. (Astrid Ebenführer, Oliver Mark, 23.2.2016)