Die Welt der Zuchthäuser ist für Aleksandar Golubović buchstäblich ein zweites Zuhause. Man kann diese strapazierte Floskel deswegen voll und ganz anwenden, weil es eine mathematische Gewissheit ist, dass er die Hälfte seines Lebens im Gefängnis verbringt.

Foto: heribert corn , corn@corn.at,. www.corn.at

Liebe Leser, es ist so weit! Demnächst geht mein zweites Buch in Druck. Arbeitstitel: "Asphalt-Hyänen". Es handelt von den Gangstern aus Beograd, die in den 90er-Jahren die Stadt und das Land beherrschen. Als Appetithappen könnt ihr die Biografie von Aleksandar "Kristijan" Golubović lesen. Er ist der letzte überlebende Gangster aus der berühmten Doku "Vidimo se u čitulji" aus dem Jahr 1994.

Teil 1 zum Nachlesen

Die griechische Komödie

Ganz persönliche Dummheit beweist Golubović in einer anderen Story, die er gerne vor laufender Kamera erzählt. Sie handelt von seinem bislang letzten Versuch, ein anständiger Bürger zu werden. Allerdings in Griechenland.

Schon Mitte der 90er besteht in Athen eine wachsende Serben-Kolonie. Die Nomenklatura, von Milošević hinunter bis zu den erfolgreichen Geschäftsleuten und Gangstern, bunkert zwar ihr Geld auf Zypern und in Russland, aber in Athen kauft man Immobilien und gründet Firmen. Nebenbei gesagt, mitten in der EU. Wie das möglich ist, hat noch kein Gericht gefragt. Dass die allmächtige orthodoxe Kirche während des Krieges Geldsammlungen für die serbischen Brüder organisiert, ist kein Geheimnis.

Ebenso wenig ist es ein Geheimnis, dass niemand weiß, wo dieses Geld letztlich gelandet ist, und dass bis heute keiner danach fragt. Manche Kenner der Verhältnisse vermuten, dass nicht nur die orthodoxe Kirche, sondern auch korrupte griechische Beamte und Politiker nicht nur dem Milošević-Clan und seinen Paladinen helfen, Geld zu waschen, sondern auch jedem serbischen Kriminellen, der sich den Tarif leisten kann. So übersiedelt auch Golubović mitsamt Familie nach Athen und gründet einige Firmen, um fortan als ehrbarer Geschäftsmann sein Leben zu führen. Doch ehrliche Geschäfte zu machen ist genau das, was Golubović gar nicht kann. So gerät er bald wegen Nötigungen und Hehlerei ins Visier der griechischen Polizei.

Gefängnisrevolte

Und dann, eines sonnigen Morgens, stürmt eine Spezialeinheit das neue Haus der Familie Golubović. In einem schnellen Gerichtsverfahren beschlagnahmt der griechische Staat alle beweglichen und unbeweglichen Güter und sperrt alle Konten, die auf seinen Namen lauten. All das passiert, weil Golubović zu knauserig ist, sein neues Heim mit legalen Waren auszustatten, und lieber Möbel, Unterhaltungselektronik und den Gutteil der restlichen Hausausstattung bei Hehlern kauft, die er durch seine "Arbeit" kennt. Doch einer dieser Hehler wird verhaftet und singt. Golubović soll einen Teil seiner Strafe in Athen absitzen und anschließend nach Serbien deportiert werden.

Hier gerät er in eine Gefängnisrevolte, über deren Verlauf er ebenfalls oft und gerne erzählt. Den Mittelpunkt dieser Story bildet der Tresor des Zuchthauses, der das wertvolle Eigentum bewahrt, das die Gefangenen bei der Einlieferung am Leibe tragen. In seinem Fall sind es einige Deka Goldschmuck. Die Serben in diesem Zuchthaus sind jedoch eine mindere Fraktion. Die größte Gruppe sind Albaner, die den Tresor prompt in den Hof schleppen und mit brachialer Gewalt aufbrechen.

Dieser Vorgang, ausgeführt mit gänzlich untauglichen Mitteln, dauert einen ganzen Tag. Inzwischen plant Golubović mit zwei anderen serbischen Insassen, wie er an sein Gold (und an das aller anderen Gefangenen) gelangen könnte, wenn die Albaner es endlich fertigbringen, den Tresor zu knacken. Der Plan ist einfach und brutal. Golubović und seine Kumpel folgen den Albanern, die sein Gold (und das anderer) in den "Albaner-Flügel" zu bringen versuchen. Dabei müssen sie durch einen langen, unbeleuchteten Gang. Hier holt die muskulöse Golubović-Troika die sechs Albaner ein und prügelt sie mit Latten nieder. Danach entkommen die Serben, die während der Aktion kein Wort sagen, mit der Beute unerkannt in ihren Flügel. Mission accomplished.

Die brutale Kunst

Die Welt der Zuchthäuser ist für Golubović buchstäblich ein zweites Zuhause. Man kann diese strapazierte Floskel deswegen voll und ganz anwenden, weil es eine mathematische Gewissheit ist, dass er die Hälfte seines Lebens im Gefängnis verbringt. Hier folgt Golubović der Methode seines Taufpaten Ljuba Zemunac und prügelt sich erst einmal zum Chef des Traktes hoch. In seinem Zimmer herrschen eiserne Disziplin und ein Tagesablauf, den er diktiert. Dazu gehören Pflichtsport, Rauchverbot und strikte Hygiene für alle, stündliches Lüften und selbstverständlich die Bedienung des Chefs. Wie einst Ljuba Zemunac straft Golubović jeden ab, der seiner Meinung nach gerade eben einer Abstrafung bedarf.

Doch der Gangster und der Zuchthäusler sind nur zwei Aggregatzustände des Aleksandar Golubović. Ein anderer Aggregatzustand ist der Kampfsportler, ein weiterer der "Künstler" Golubović. Es handelt sich um eine mir unglaublich gleichgültige Disziplin des Freistilboxens, in der er internationaler Meister im – wie man in Wien sagt – "Goschntreten" ist. Maultreten ist der bundesdeutsche Ausdruck dafür. Als "Maler" wird er vom serbischen Zweig der Art-brut-Gemeinde entdeckt. Dieser Zweig der bildenden Kunst, der von Strafgefangenen und Insassen von psychiatrischen Anstalten geschaffen wird, ist für mich hingegen eine fantastische Ausdrucksform, die weltweit unterschätzt wird. Aber Aleksandar Golubović ist hier kein Meister. Punkt.

Der Sportler

Im Maultreten jedenfalls holt er zahlreiche Titel, auch im Ausland. Im Gegensatz zu Arkan besteht kein internationaler Haftbefehl gegen ihn, weder wegen gewöhnlicher Kriminalität noch wegen Kriegsverbrechen. Ersteres, weil er nur in Serbien tätig ist, und Zweiteres, weil er (trotz eigener Aussagen) nie am Krieg teilnimmt. Deswegen kann Golubović, wenn nicht gerade ein serbischer Haftbefehl gegen ihn vorliegt, an solchen Wettbewerben teilnehmen. Doch das bleibt nicht lange so. Wie aufgedunsen sein Image ist, muss er erfahren, als er an einer internationalen Kampfsportveranstaltung in Kroatien teilnehmen will. Die Veranstalter laden ihn aus, weil sie der Meinung sind, sein Image (als Verbrecher) schade dem Sport. Zudem untersagen ihm die kroatischen Behörden als Persona non grata die Einreise.

Eine andere Gelegenheit, bei der Golubović erkennen muss, dass er keineswegs "Arkans Erbe" ist, betrifft seine Art-brut-Vernissage. Kein Galerist in Beograd will diese Veranstaltung in seinen Räumen abhalten. Weder im Namen der Kunst, noch für viel Geld. Hätte Arkan jemals den Wunsch geäußert, auch nur eine vollgekritzelte Serviette zum Gegenstand einer Vernissage zu machen, würde niemand gewagt haben, ihm das kaltschnäuzig zu verweigern. Doch Golubović gehört eben trotz Selbstdarstellung nie zur "Arkan-Klasse" der Gangster.

Der Künstler

Trotzdem findet die Art-brut-Vereinigung Serbiens einen Ausstellungsraum in der Nähe von Beograd und versendet Einladungen an Journalisten aus Druck und TV. Viele kommen und lassen sich die Bilder von Golubović persönlich erklären. Wahrscheinlich, weil die einleitende Erklärung eines "Kunstkritikers" zu verworren ist, um auch nur irgendwie verstanden zu werden. Die Videos, die dabei entstehen, und die Persiflagen der Beograder Veejay-Szene werden in kürzester Zeit zu Youtube-Hits in (mindestens) Serbien, Kroatien und Bosnien.

Dabei erzählt Golubović, wie wichtig ihm neben massivem Krafttraining das Zeichnen im Gefängnis ist und dass es ihm "drinnen" die Depressionen mildert und ihn vom Selbstmord fernhält. Nebenbei erfahren die Journalisten auch, dass er in Wahrheit ein sensibler Mensch ist, der in Unfreiheit leidet, was mehrere Selbstmordversuche (die aller Wahrscheinlichkeit nach erfunden sind) beweisen. Und dass seine – hm – Bilder immer von Liebe, Glaube und Schicksal handeln. Wobei die Liebe stets fern ist, der Glaube serbisch-orthodox und das Schicksal verflucht. Oder so irgendwie …

Die Schönen und das Biest

Was Frauen betrifft, ist Golubović in freier Wildbahn ein veritabler Steiger. Neben zwei Ehen und einer Unzahl Affären fällt auch die schönste Sportlerin Serbiens, die Basketballerin Tatjana Živanović, für gut ein Jahr in sein Bett. Während seines letzten Gefängnisaufenthalts jedoch steigt Golubović auf eine andere Schönheit um, und ganz Serbien schüttelt lachend den Kopf, als die offensichtlich ausgediente Živanović noch monatelang in Interviews behauptet, sie und Golubović seien nicht nur nach wie vor ein Paar, sondern im Höhenflug ihrer Liebe. Manche meinen, diese junge Frau sei ein Beweis, dass Sport den wichtigsten Muskel des Menschen nicht trainiert – das Hirn.

Obwohl ich zahlreiche Interviews mit Golubović lese und sehe, wird mir nie klar, warum irgendjemand, vor allem eine junge und schöne Frau, die keinen "Sponsor" braucht, weil sie selbst erfolgreich und unabhängig ist, ein Teil des Lebens von Aleksandar Golubović sein will. Möglicherweise ist es sexistisch zu behaupten, es gebe Menschen, die vom Image des "bösen Buben" magnetisch angezogen werden. Männer wie Frauen gleichermaßen. Mehr erfahre ich darüber nicht.

Ende im Container

Beim schon erwähnten Zugriff vor einer orthodoxen Kirche findet die Polizei etwas mehr als hundert Gramm Heroin und illegale Waffen in seinem Auto. Seine Mutter wird ebenfalls festgenommen, weil auch in ihrer Wohnung illegale Feuerwaffen, die "Kristijan" gehören, gefunden werden. Das letzte Statement seiner Mutter, vor Gericht und Journalisten gebrüllt, lautet: "Ich hätte dich abtreiben sollen!" Nach dieser Verhaftung entgeht er nur knapp einer drohenden 14-jährigen Haftstrafe. Und bekommt acht Jahre. Gegenwärtig ist Golubović in der serbischen Variante von "Big Brother", "Farma", zu Gast. Er ist vom Zuchthaus offiziell für die Dauer der Show beurlaubt. Wie das bei seinem Kaliber möglich ist, fragt sich ganz Serbien.

Wer will, kann auf Youtube zusehen, wie der ehemalige Prinz der Stadt sogar in einer Containershow nur der brutale Traktboss aus dem Zuchthaus bleibt.

Und sonst gar nichts.

ENDE. (Bogumil Balkansky, 25.2.2016)