Pro: Platz für den Kasperl
von Sebastian Fellner

Man muss die Kandidatur Richard Lugners für das Amt des Bundespräsidenten nicht als wertvollen Beitrag zur politischen Kultur in Österreich empfinden. Wer tut das schon? Doch immerhin fast zehn Prozent der Wählerinnen und Wähler gaben dem schrulligen Baumeister 1998 bei der gleichen Wahl ihre Stimme. Sicher, unter gänzlich anderen Voraussetzungen als 2016. Doch das Votum verschafft Lugner eine Legitimation durch die Bevölkerung. Die können Medien auch nicht ignorieren, wenn sie sich für seriöser als den Kandidaten halten.

Journalismus soll keine Politik betreiben. Und ob es uns Journalisten passt oder nicht – Richard Lugner ist ein Faktum im politischen Spektrum dieses Landes. Das Phänomen ist auch in anderen Ländern zu beobachten: Schrille Kandidaten ziehen frustrierte Wähler an. Doch Lugner zu ignorieren, um die politische Kultur des Landes zu heben, wäre eine Kompetenzüberschreitung der Medien – und nutzlos, weil Lugner durch eine Inszenierung als Ausgegrenzter noch mehr Stimmen gewinnen kann.

Das gilt auch für die Vorwahl-Diskussionen des ORF, der selbstverständlich trotz des gesetzlichen "Objektivitätsgebots" redaktionelle Entscheidungen treffen muss. Kandidaten ohne breite Relevanz und Aussicht auf Erfolg muss keine Plattform im Hauptabend geboten werden. Doch wer Lugner ignoriert, nur weil er ein Kasperl ist, hat den Job des Journalismus falsch verstanden. (Sebastian Fellner, 25.2.2016)

Kontra: Irrelevante Impertinenz
von Michael Völker

Richard Lugner, nebenberuflicher Betreiber eines Einkaufszentrums in Wien und hauptamtlich tätiger Societylöwe, hat sich selbst, obwohl sonst gänzlich ironiefrei, treffend als Kasperl bezeichnet. Als solcher will er bei der Bundespräsidentschaftswahl antreten. Das kann ihm niemand verwehren, wenn er die dazu notwendigen Unterstützungserklärungen zusammenkriegt.

Der Unterhaltungswert einer lugnerischen Kandidatur ist zweifellos gegeben. Dem Mann ist keinerlei Peinlichkeit fremd, das hat er hinreichend bewiesen, und das gilt im Übrigen auch für seine Frau, die man Spatzi nennt. Folgerichtig treten die beiden als Paar an, was deren Aufdringlichkeit potenziert und an den Rand des Erträglichen treibt. Menschen ohne Schamgefühl mögen sich daran ergötzen. Dieses Leid kann man freiwillig beim Konsum einer Reality-Soap im Privatfernsehen auf sich nehmen.

Ernst zu nehmende politische Anliegen hat Lugner allerdings keine, ihm geht es in erster Linie um die Eigenvermarktung, die er notorisch und mit nervenzerfetzender Impertinenz betreibt. Es ist nicht notwendig, dem eine weitere Bühne zu geben. Der ORF handelt richtig, wenn er die Kandidatur von Lugner als das behandelt, was sie ist: ein Scherz, den man nach Geschmack durchaus unterschiedlich bewerten kann. Schlecht ist in diesem Zusammenhang jedenfalls eine zulässige Wertung, das muss im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht auch noch befördert werden. (Michael Völker, 25.2.2016)