Nur ja keine Parallelgesellschaften! Das hören wir immer wieder. Migranten, die in ihrer eigenen Welt leben, werden sich nie integrieren und unterminieren den Zusammenhalt der Mehrheitsbevölkerung. Aber sind Parallelgesellschaften wirklich so schlimm? Es hat sie immer gegeben. Und solange sie die Gesetze des Landes respektierten und dem Rest der Bevölkerung nicht feindselig gegenüberstanden, haben sie niemanden ernstlich gestört.

In der goldenen Epoche Österreichs um 1900 bildeten die Aristokraten eine Parallelgesellschaft. Man verkehrte so gut wie ausschließlich miteinander. Ebenso die zugewanderten orthodoxen Juden aus dem Schtetl. In Böhmen lebten Deutsche und Tschechen jahrhundertelang friedlich nebeneinander, nicht miteinander. Die große Minderheit der Tschechen in Wien hatte ihre eigenen Vereine und Lokale. Im Schmelztiegel New York gab es jahrzehntelang das Italienerviertel Little Italy. Und Chinatown mit seinen zahllosen chinesischen Restaurants und Geschäften ist bis heute eine Welt für sich.

Auch heute haben die Zugewanderten in Österreich und insbesondere in Wien ihre Communitys. Sie sind für Neuankömmlinge lebenswichtig. Wer sonst als Landsleute, die schon länger hier sind, können den Neuen die hiesigen Sitten und Gebräuche erklären? In einem Land, in dem alles fremd ist, bieten die Parallelgesellschaften eine Art Heimat in der Fremde. Sie sorgen dafür, dass man irgendwo das gewohnte Essen bekommen und sich in der Muttersprache unterhalten kann. Und die Moscheen und Gotteshäuser sind ebenfalls ein wichtiges Stück Zuhause. Wenigstens beim Beten möchte man sich nicht als Fremder fühlen.

Und wo ist die Grenze zwischen akzeptabler und nicht akzeptabler Parallelgesellschaft? Da spricht das Gesetz eine deutliche Sprache. Gewalt ist out. Mädchen müssen in die Schule gehen und dürfen nicht zwangsverheiratet werden. Wer einen Job will, muss die Landessprache lernen. Aber beim Kopftuch ist die Mehrheitsgesellschaft zur Toleranz aufgerufen. Und auch die oft gehörte Klage, man höre in der U-Bahn kein deutsches Wort mehr, geht ins Leere. Damit müssen wir leben.

In einem Einwanderungsland wie Österreich sind die fremdsprachigen Communitys ein Teil unserer Wirklichkeit. Sie sind für Zuwanderer eine unerlässliche Zwischenstation auf dem Weg zur Integration, aber sie werden auch bestehen bleiben, wenn die Menschen sich gut eingelebt haben. Eine wirklich homogene Gesellschaft, wie sie etwa Ungarn anstrebt, werden wir nie haben. Muslime wird es bei uns immer geben, ebenso wie Menschen, die mehr als eine Identität haben. Man kann ein loyaler österreichischer Staatsbürger sein, aber dennoch beispielsweise an seiner syrischen Kultur festhalten und Wert darauf legen, dass die Kinder auch Arabisch sprechen.

Das ist für alle Beteiligten nicht ganz leicht. Aber die Österreicher haben in dieser Hinsicht vor anderen Europäern einen Vorteil. Sie haben jahrhundertelang in einem Vielvölkerstaat gelebt und haben Erfahrung im Zusammenleben mit anderen. Sie kennen sich aus mit Parallelgesellschaften und wie man es anstellt, dass sie friedlich bleiben. Auch in der Krise sollten wir uns an die Lehre aus der Geschichte erinnern: Friedliches Nebeneinander ist allemal besser als erzwungenes Miteinander. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 2.3.2016)