Der blinde Bergsteiger Andy Holzer ließ sich von Barrieren nie abschrecken. Der Arbeitsmarkt lässt nur wenige Behinderte hoch hinaus.

Andy Holzer

Wien – Sie sind in der Arbeitswelt ganz unten in der Hierarchie. Menschen mit Behinderung fallen als Erste aus dem System, verschärft sich die Lage auf dem Jobmarkt. In Österreich stehen sie derzeit mehr denn je auf dem Abstellgleis. 2007 hatte einer von sieben Arbeitslosen gesundheitliche Beeinträchtigungen. Mittlerweile betrifft dies jeden Fünften. Die Arbeitslosigkeit unter Behinderten explodierte zugleich um 130 Prozent – und damit im Vergleich zu nicht beeinträchtigten Menschen um mehr als das Vierfache.

Mit einem Achselzucken habe das die Politik bisher zur Kenntnis genommen, sagt Erwin Buchinger, Behindertenanwalt des Sozialministeriums. Als gescheitert bezeichnet er die 2011 erfolgte Lockerung des Kündigungsschutzes, die den Zugang von Menschen mit Handicap zum Arbeitsmarkt hätte erleichtern sollen. Seit Jahrzehnten dient der besondere Schutz für Behinderte als wichtigstes Argument der Wirtschaft für ihre Vorbehalte gegen sie. Auch wenn es in der Praxis kaum zu Verfahren im Zuge einer Kündigung kommt und gut 90 Prozent im Sinne der Arbeitgeber enden. Trotz des aufgeweichten Schutzes erfüllen derzeit nur 22 Prozent von 18.000 Betrieben in Österreich ihre Pflicht, pro 25 Arbeitnehmer einen Behinderten einzustellen. Der Rest kauft sich frei, mit 252 bis 374 Euro im Monat. Ein Klacks für große Konzerne, die in der Sache meist weniger Engagement zeigen als kleine und mittlere Betriebe.

Keine Vorbilder

Auch die öffentliche Hand lässt als Vorbild aus; etliche staatsnahe Konzerne und Ministerien halten die Vorgaben nicht ein. Buchinger drängt daher auf eine Verdoppelung der Ausgleichstaxe, die zweckgebunden der Integration Behinderter dient. "Ich vertraue darauf, dass Unternehmer rechnen können." Die Strafen sollten dem durchschnittlichen Kollektivvertragsgehalt angepasst sein, raten Sozialrechtsexperten.

Was den Kündigungsschutz betrifft, zeigt sich der frühere Sozialminister Buchinger auch dem völligen Wegfall nicht abgeneigt. Vorausgesetzt, andere Instrumente, die Behinderte in der Arbeitswelt integrieren, griffen. Was aber derzeit nicht der Fall sei.

Gehalt statt Taschengeld

In jedem Fall will Buchinger ei- nen Entgeltanspruch über der Geringfügigkeitsgrenze in geschützten Werkstätten. Bisher erhalten dort 24.000 Menschen oft nur ein Taschengeld von monatlich 50, 60 Euro. Das AMS soll Behinderte als eigene Zielgruppe definieren und der Zugang zum regulären Ar- beitsmarkt erleichtert werden.

In der Privatwirtschaft brauche es mehr Einstellungsbeihilfen, im Bundesdienst die Aussetzung des Einstellungsstopps für Menschen mit Handicaps. Und bei behinderten Jugendlichen dürfe die Ausbildungspflicht nicht, wie in einem aktuellen Gesetzesentwurf vorgesehen, ruhen. Die Kosten des Pakets: rund 150 Millionen Euro.

In der Wirtschaftskammer gibt man die Schuld an der ausgeuferten Arbeitslosigkeit unter Behinderten bürokratischen Änderungen auf Förderebene: Für Betriebe habe sich vieles verkompliziert, sagt Sozialpolitikexpertin Pia-Maria Rosner. Dass höhere Strafen was bringen, bezweifelt sie. Auch wenn sich Unternehmen primär die völlige Abschaffung des Kündigungsschutzes, der nach vier Jahren wirksam wird, wünschten – wichtiger sei es, sie besser zu informieren und zu sensibilisieren.

Viele Vorurteile

Gregor Demblin hat die Plattform Career Moves mitbegründet, die Behinderte auf dem Weg in die Arbeitswelt unterstützt. Auch er drängt seit Jahren auf das Ende des Kündigungsschutzes, "wofür ich immer wieder geprügelt wurde". Das Problem sei nicht der Schutz an sich, sondern Vorurteile, die mit ihm verknüpft seien, sagt er.

"Viele Arbeitgeber haben Bilder im Kopf, von Rollstühlen, Blindenstöcken und schlechterer Leistung." Daran änderten auch Studien nichts, die zeigten, dass Behinderte im Schnitt weniger Krankenstände verbuchten als Menschen ohne offizielle Handicaps.

95 Prozent der Beeinträchtigungen seien nicht sichtbar, sagt Demblin. Abgesehen davon, seien Betriebe ohnehin mit Mitarbeitern konfrontiert, die darunter litten, es aber oft zu verbergen versuchten. Zwei Prozent der Belegschaft seien betroffen. "Keiner schaut hin oder wagt es auszusprechen." (Verena Kainrath, 3.3.2016)