Die Silvesternacht 2015 am Kölner Dom wird nicht nur der Stadt selbst, sondern ganz Deutschland in Erinnerung bleiben.

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Fremde Hände überall. Auf dem Po, den Brüsten, zwischen den Beinen, feixende Gesichter, hämisch lachende Männer. So beschreiben Frauen jene Geschehnisse in der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte, die Deutschland verändert haben. Rund 1000 Männer, zumeist nordafrikanischer und arabischer Herkunft, hatten sich auf dem bekannten Platz zwischen Hauptbahnhof und Dom versammelt, viele von ihnen zugegriffen und Frauen begrapscht.

"Es war ein Kulturschock, und er wirkt immer noch nach", sagt Stefan Grünewald, Psychologe, Leiter des Kölner Rheingold-Instituts und Autor des Buches "Köln auf der Couch" zum STANDARD. Bis zu jener Silvesternacht seien die Flüchtlinge in Deutschland vor allem als Opfer gesehen worden, als verfolgte Menschen, die der Hilfe bedürfen.

Danach empfanden sie viele pauschal als Täter, als "wehrhafte junge Männer, die sich ,unsere' Frauen holen". Grünewald verweist dabei auf den symbolträchtigen Ort des Geschehens. "Es heißt zwar der Dom, aber in Köln gilt dieses Wahrzeichen gemeinhin als weiblich, als mütterliche Gestalt, als Dommutter, die auf die Stadt schaut und aufpasst." Das gehe, so Grünewald, so weit, dass die Türme als "mütterliche Zitzen" empfunden werden.

Und dann seien all die jungen, starken Männer aus dem Bahnhof, wo so viele Fremde verkehren, gekommen und hätten eben diese heimische katholische Dommutter "besudelt", die Polizei sei überfordert gewesen. Selbst ohne Kölner Detailkenntnisse könne man daraus Symbolik herauslesen.

Dementsprechend groß war auch das Entsetzen in Deutschland von Kanzlerin Angela Merkel abwärts. Sie nannte die Ereignisse "verheerend", und es gab kaum einen Politiker, der sich dem nicht anschließen hätte wollen. Unter Zugzwang geriet die Regierung als AfD-Chefin Frauke Petry erklärte, die Ereignisse seien "die entsetzliche Folge einer katastrophalen Asyl- und Migrationspolitik" der Bundesregierung.

Leichtere Abschiebung

Die Regierung handelte rasch und brachte ein neues Gesetz auf den Weg. Straffällige Ausländer können künftig auch bei geringeren Strafen ausgewiesen werden. Das neue Gesetz sieht eine Ausweisung nach jeder Verurteilung wegen eines schwerwiegenden Delikts vor – auch wenn die Strafe dafür zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das heißt aber nicht, dass die Betroffenen gleich das Land verlassen müssen. Wenn eine Abschiebung aus humanitären Gründen nicht möglich ist, können sie weiterhin bleiben.

Auch das sogenannte "Istanbul-Übereinkommen", um das Union und SPD lange gestritten hatten, wurde nach den Ereignissen von Köln rasch aus den Schubladen geholt. Die Hürden für eine Verurteilung wegen Vergewaltigung sollen gesenkt werden. Es wird dann ausreichen, wenn eine Frau einfach "Nein" sagt.

Knapp 1100 Anzeigen sind nach der Silvesternacht bei der Kölner Polizei eingegangen, gegen 75 Beschuldigte wird ermittelt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft handelt es sich "weit überwiegend" um Asylbewerber, Asylsuchende oder Menschen, die sich illegal im Land aufhielten. Zwei Asylbewerber sind zu Bewährungsstrafen verurteilt worden – allerdings wegen Diebstahls, nicht wegen sexueller Übergriffe.

Psychologe Grünewald sieht jedoch trotz – oder gerade wegen – der Ereignisse in Köln eine Chance auf "Versöhnung" der beiden Lager: den "Willkommensromantikern", die keine Integrationsprobleme sehen wollen, und den "Untergangsapologeten", die sich abschotten und ihre Besitztümer verteidigen möchten.

Die erste Gruppe habe erkennen müssen, dass der Zustrom an Flüchtlingen auch Probleme mit sich bringe, die andere zur Kenntnis nehmen müssen, dass die vermeintliche "Lügenpresse" zwar zunächst über Köln nicht umfänglich berichtete, ein paar Tage danach aber begann, über die Folgen von Zuwanderung auch kritisch zu berichten. Beides ist für Grünewald die Botschaft von Köln: "Man kann den Spaltpilz beseitigen." (Birgit Baumann aus Berlin, 6.3.2016)