Form und Farbe trifft Rhythmus und Bewegung: Moritz Melzers Farbdruck "Blüten" entstand um 1920 auf Japanpapier.


Foto: Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin

Alois Bilek, "Abstrakte Komposition", 1914.

Foto: Belvedere, Wien– Dauerleihgabe Sammlung Rotter

Wien – "Versetzungsrelevant!" Kurator Alexander Klee wiederholt dies mit Nachdruck und gefühlt mindestens drei Ausrufezeichen. Denn tatsächlich war der Zeichenunterricht ab 1860 in der Donaumonarchie Pflicht, er umfasste geometrisches Zeichnen und jenes mit der freien Hand und summierte sich allein bei Letzterem im Laufe einer Pflichtschulkarriere auf ganze 28 Wochenstunden. Verpflichtend und versetzungsrelevant.

Ein bisschen bange wird einem schon bei dem Gedanken, man wäre wegen unsicherer Stricheleien zum Hockenbleiber geworden. Die leidenschaftliche Volte, die der Belvedere-Kurator jedoch am Weg zur Kunst der Form über die Pädagogik Johann-Friedrich-Hebart'scher Prägung schlägt, ist anders motiviert. Es gilt also zwei Dinge zu verinnerlichen, bevor man zur Formkunst, zu den verbindenden Beispielen aus dem Kubismus in Tschechien und der Slowakei, dem Konstruktivismus aus Ungarn sowie der Kunst der Wiener Secession kommt.

Andor Weininger: Gesamtentwurf für "Kegelbrüder" (1924)
Foto: Bildrecht, Wien, 2016, © Kolumba, Köln Schenkung Eva Weininger, Foto: © Lothar Schnepf

Erst dann kann man sich in der Schau, die ein wenig an ihrem irreführenden wie spröden Titel – Klimt, Kupka, Picasso und andere – Formkunst – leidet, an Formen und Farben laben: etwa an den blauen Ornamentrhythmen in Frantisek Kupkas Die Kathedrale (1912/13) aus Prag oder an seinen als Farbkaleidoskop gebrochenen Strahlen in Le Rayon (1925/26), einer von vielen Leihgaben aus dem Pariser Pompidou.

Zum einen, dass es das Prinzip des Zeichengegenstands im Vielvölkerkulturraum war (und ja, man sorgte auch für einheitliche Lehrpläne!), "die Welt in ihren Strukturen, sprich nach mathematischen Prinzipien zu erfassen". Zum anderen gilt es zu verstehen, wie Klee das meint, wenn er nachsetzt: "Mathematik ist kosmopolitisch!" Oder: "Ein Dreieck ist kosmopolitisch!"

Äußere und innere Geometrie

Grundlage des Zeichenunterrichts war die geometrische Trigonometrie, also die Zerlegung in Dreiecke, die später sowohl zu gegenständlichen wie zu ungegenständlichen Motiven zusammengesetzt werden konnten. Ziel war das reine Sehen und daraus resultierend die Erkenntnis, dass das Geometrische die Basis des Formschönen ist. Die "Erkenntnis des Ornamentalen als äußere Notwendigkeit innerlich waltender Gesetze", sagt der an der Wiener Kunstgewerbeschule unterrichtende Franz Cicek 1903. Ein Satz, der nicht nur die wunderbar bewegten Kompositionen Erika Giovanna Kliens fasst, sondern genauso Gustav Klimts Bildnis der Fritza Riedler (1906).

Erika Giovanna Klien, "Tauchender Vogel", 1939.
Foto: Belvedere, Wien

Für einen Prager, der nach 1909 in Paris auf den Kubismus von Picasso traf, führt der Kurator aus, war das, was der Spanier da auf der Leinwand – zunächst analytisch zerlegend, später synthetisch aus Formen zusammenfügend – zeigte, nicht frappierend, sondern vielmehr offensichtlich. "Das Prinzip Picasso hat jedes Kind in der Donaumonarchie begriffen." Wenn man so will, waren die geometrischen Formen die gemeinsamen Buchstaben, allerdings war die Sprache, die man daraus formte, in den Ländern der Donaumonarchie eine andere, führte zu völlig anderen Ergebnissen.

Pragmatismus gegen Metaphysik

Denn anders als bei der Abstraktion, die einen eher theosophisch gefärbten Weg zu einem absoluten, ja metaphysisch gedachten Bild – wie etwa bei Kandinsky – einschlug, der eine Rückkehr zur Gegenständlichkeit ideologisch unmöglich machte und obendrein einem Geniebegriff huldigte, war der Weg der "Formkunst" eher ein pragmatischer, ein formal-ästhetischer. Und den machten überdies 99 Prozent Fleiß und eben nur ein Prozent Genie aus. So soll es Adolf Hölzel gesagt haben, den Klee hier im Belvedere, ebenso wie 2007 in einer Personale im Leopold-Museum, als Vorreiter der ungegenständlichen Kunst präsentiert.

František Kupka, "Serie C VIII", 1935-1946.
Bildrecht, Wien, 2015, Foto: © Belvedere, Wien

Dass die Avantgarde aus Paris kommt, ist für Alexander Klee eine viel zu beschränkte Sicht. Der dort angeblich erfundene kubistische Impuls gehörte in Österreich einfach zum Alltag. Womit wir bei des Pudels Kern angekommen wären: Auch im Vielvölkerstaat stand eine Wiege der ungegenständlichen Kunst, allerdings mehr in Form eines kollektiven (Stil-)Bewusstseins. Man wollte keine nationale ideologische Form, keinen nationalen Stil schaffen, so Klee. Dass diese Idee gemeinsam mit dem Vielvölkerstaat unterging, ist klar.

Mit Feuereifer (daher keine Expertenführung verpassen: 16. 3., 18 Uhr, 27. 4., 19 Uhr) rückt uns Klee den Kopf zurecht und schenkt neue Perspektiven. Kommen wir nicht genau deswegen in die Museen? Ebenso überzeugend ist der – auch medial – durchaus bunte Rundgang geraten, der etwa Picasso vom Podest holt, Holzspielzeug effektvoll als rhetorische Werkzeuge einsetzt und Design und freie Kunst würdig vereint. (Anne Katrin Feßler, 10.3.2016)