"Der Sturz der rebellierenden Engel" von Pieter Bruegel dem Älteren. In der "Bruegel Box" ist das Meisterwerk ein animiertes und animierendes 3-D-Erlebnis.

Foto: Museum der Schönen Künste Brüssel

Himmel und Hölle; Sterben und Leben; Chimären; geharnischte Zwitterwesen zwischen Mensch und Tier; Engel in weißwallenden Gewändern und glänzenden Rüstungen, Posaune blasend oder mit Schwertern bewaffnet. Einer, Luzifer, stürzt ins dunkle Verderben, der andre, Michael, strebt befreiungskämpfend nach oben.

Plötzlich ertönt eine erklärende Stimme, aus dem schier unübersehbaren Gewurl fliegen Ungeheuer und Himmelswesen auf die Betrachter zu. Die wiederum stehen, umspült von gregorianischen Chorälen, in tiefster Finsternis und quasi inmitten des Gemäldes Der Sturz der rebellierenden Engel von Pieter Bruegel dem Älteren. Am kommenden Dienstag wird in den Königlichen Museen der Schönen Künste in Brüssel (KMSKB) die "Bruegel Box" eröffnet, die in Kooperation mit Google eingerichtet wurde: Bruegel in 3-D, zerlegt in tausende Dateien und eine Milliarde Pixel.

Das Original – eine 117 Zentimeter hohe, 162 Zentimeter breite Holztafel, die Pieter Bruegel der Ältere 1562 gemalt hat – hängt ein Stockwerk höher im Bruegel-Saal der KMSKB.

Man wisse immer noch nur wenig über diesen Maler, sagt die Kunsthistorikerin Tine Luk Meganck, "also muss man in die Tiefe gehen. Dieses Bild erzählt eigentlich alles über ihn." Mehr als fünf Jahre studierte sie ausschließlich dieses eine Meisterwerk, das zunächst Bruegels Söhnen Pieter und Jan, später Hieronymus Bosch (1450–1516) zugeordnet wurde. Erst dreihundert Jahre nach dem Entstehen entdeckte man Pieter Bruegels Signatur hinter dem Rahmen.

Entdeckung der Neuen Welt

Der Irrtum sei verständlich, sagt Meganck, deren Erkenntnisse in einem reich bebilderten, 200 Seiten starken Buch (Pieter Bruegel the Elder: Fall of the Rebel Angels, hg. v. Royal Museums of Fine Arts of Belgium) nachzulesen sind. Vor allem während der Antwerpener Zeit habe Bruegel in seinen Drucken Boschs überbordende Bildsprache imitiert – ein in der Spätrenaissance üblicher Vorgang, um den eigenen Marktwert zu steigern.

Dass die Rebellischen Engel nicht Boschs Werk sein konnten, enthülle sich in kleinsten Details, etwa dem nackten Mann mit Federschmuck: Zwischen Bosch (1450–1516) und Bruegel (1529/30–1569) lag die Entdeckung der Neuen Welt. "Bruegel", so Meganck, "vermischte Fantasiewelten mit Natur, Hybrid- mit exotischen Lebewesen, die auf Expeditionen erbeutet und in Kuriositätenkabinetten ausgestellt wurden."

Die KMSKB, in deren allernächster Nähe Bruegel seine letzten Lebensjahre verbrachte, haben die zweitgrößte Bruegel-Sammlung. Die größte besitzt das Kunsthistorische Museum in Wien.

Flämische Hexen

Zwei Wiener Bruegels gastieren übrigens bis 26. Juni in Brügge, um die Ausstellung Bruegel und die Hexen im mittelalterlichen Speicher des Sint-Janshospitaal aufzupeppen. Feuer auf den Dächern der Kojen, jede Menge Reisigbesen, stimmungsvolles Dämmerlicht, die Besucher müssen mit Kerzen die mythischen Hexenwelten erforschen.

Der Titel ist allerdings ein wenig pompös, denn exakt zwei kleine Bruegel-Drucke – St. Jacobus bei Hermogenes und Der Fall der magischen Hermogenes – geben der Schau den Namen. Die beiden aus Wien angelieferten Winterlandschaften sind ums Eck gedacht: Man hatte den Zauberfrauen die kleine Eiszeit angelastet.

Hexen, die auf Besen durch die Lüfte fliegen, in brodelnden Kochtöpfen Zaubertränke brauen, während schwarze Katzen auf ihren Schultern kauern: Bruegels apokalyptische Fantasien, die bis heute unser Hexenbild befeuern und prägen, haben nachfolgende Künstlergenerationen inspiriert. 150 Hexendarstellungen niederländischer und flämischer Künstler sind erhalten geblieben; ehrlicherer Titel wäre denn wohl Flandern und die Hexen gewesen.

Leider sind die Beschriftungen zu den kostbaren Manuskripten, seltenen Artefakten und Kultgegenständen, Gemälden (Highlight sind die Sabbat-Bilder von David Teniers dem Jüngeren), Zeichnungen, Handschriften und Drucken nur auf Niederländisch. Was nicht nur eine deutsche Schulklasse recht ratlos zurückgelassen hat. Wenn schon Französisch im Nationalitätenstreit zwischen Wallonen und Flamen auf der Strecke bleibt: Englisch wäre doch ein allgemein verständlicher Kompromiss. (Andrea Schurian, 11.3.2016)