Murrisk, im Westen Irlands: Es gibt ein Pub, einen Park- und einen Campingplatz, eine Durchgangstraße. Das 200-Seelen-Dörfchen ist umgeben von grüner Heide und dunkel schimmernden Seen. Dazwischen liegen torfbraune Flüsschen und davor das blaue Meer. Eine friedliche Landschaft. Hier, in der einst bettelarmen Grafschaft Mayo, riecht man das Salz des Atlantiks. Und hier steht der Croagh Patrick. Wer nach Murrisk kommt, der will Irlands heiligen Berg besteigen, sonst nichts.

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Wer nach Murrisk in der Grafschaft Mayo kommt, hat nur ein Ziel: den Croagh Patrick, Irlands heiligen Berg.

Gerry Greensmyth wartet vor dem Besucherzentrum. Der Bergführer kennt den Croagh Patrick wie kein anderer – die Massenwallfahrt, zu der alljährlich am letzten Juli-Wochenende gut 30.000 Pilger kommen. Jetzt, rund um Saint Patrick's Day am 17. März, ist es vergleichsweise ruhig. Gerry erzählt von der Clew Bay, die unterhalb des Berges liegt. 365 kleine Inselchen gebe es in der Bucht, eines für jeden Tag des Jahres.

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Im Sommer ist auf dem Berg die Hölle los. Rund um Saint Patrick's Day im März herrscht dort relative Ruhe.

Schon von weitem ist seine Gestalt zu erkennen: eine Kegelpyramide, geometrisch so perfekt, als sei sie von himmlischer Hand geformt worden. 765 Meter ist der Croagh Patrick hoch, aber steil, mit losem Geröll an den Flanken. Jedes Jahr stapfen, keuchen Pilger und Wanderer auf diesen graugrünen, oben fast schwarzen Berg. Manche barfuß oder auf Knien, Teenager in durchweichten Turnschuhen, Frauen mit Babys, alte Menschen auf Krücken. Im Besucherzentrum werden ihnen Pilgerstöcke, Rosenkränze, Wollsocken und T-Shirts verkauft.

Altes Zentrum der Heiden

Vor 1500 Jahren war die Gegend ein Zentrum der heidnischen, der keltischen Welt. Bis der Heilige Saint Patrick 441 nach Christus hierherkam und zu missionieren begann. Die Katholiken glauben, dass Saint Patrick 40 Tage lang auf dem Berg gebetet und gefastet habe. Der irische Schutzpatron brachte das Christentum auf die grüne Insel und bekehrte viele Heiden, auch in der Region Mayo.

Für die Gläubigen gibt es auf dem Weg zum Gipfel einen Steinhaufen, um den reuige Sünder siebenmal herumgehen müssen, während sie sieben "Vaterunser", sieben "Gegrüßet seist du, Maria" und ein Glaubensbekenntnis sprechen. Ob das alle, der mehr als 100.000 Pilger und Wanderer machen, die jedes Jahr den Croagh Patrick besteigen? Bergführer Gerry ist sich da nicht so sicher und lächelt verschmitzt.

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Wer drei Auf- und Abstiege am selben Tag schafft, dem würden seine Sünden erlassen, heißt es im Volksmund. Der Weg auf den Gipfel ist steinig und steil.

Weiter geht es den Hang hinauf. Wer drei Auf- und Abstiege am selben Tag schafft, dem würden seine Sünden erlassen, heißt es im Volksmund. Modernen Ablasshandel, nennt das Gerry. Über moosige Pfade geht der Aufstieg, gespenstische Wolkenfetzen streichen über die höherliegenden Felsenflanken. So könnte eine Mondlandschaft aussehen. Früher gab es entlang des Weges Stände, in denen Getränke, Suppen und religiöser Nippes verkauft wurden. Familien aus Murrisk betrieben diese, um die Pilger körperlich und seelisch zu stärken – und um die Haushaltskasse aufzubessern. Nachtwanderungen gab es auch. Aber das ist längst vorbei. Aus Sicherheitsgründen, wie es heißt.

Pilgern gegen Bezahlung

Bergführer Gerry kennt viele Geschichten über den Berg. Im 19. Jahrhundert habe ein Mann auf dem Berg gelebt, den sie "Bob of the reek" nannten. Bob kam nur herunter, wenn er sich als vermeintlicher Fremdenführer betätigen wollte. In Campbells Bar saßen Leute, die körperlich nicht mehr in der Lage waren, den Berg zu besteigen oder sowieso lieber im Pub blieben. Also übernahm Bob – natürlich gegen Bezahlung – die Pilgerschaft für sie. Deshalb wurde er auf dem Gipfel beerdigt. Ein Grab mit der Aufschrift "Bobby, the reek" beweist sein Wirken in den Fußstapfen Saint Patricks.

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Vier Stunden braucht man bis zum Gipfel über "Mondgeröll".

Wer hinaufwill, muss früh aufstehen. Vier Stunden braucht man bis zum Gipfel über das Mondgeröll. Im unteren Teil führt der Pfad neben einem Bachbett, und eine Weile fließt ein Rinnsal entlang des Weges. Doch dann schnellt er steil in die Höhe. Etwas mehr als eine Stunde benötigt man als durchschnittlicher Wanderer, um den Grat östlich des Gipfels zu erreichen. Von hier geht der Blick über die Clew Bay ins Landesinnere hinunter in den Lug Na Deamhan, die Höhle der Dämonen.

Unterwegs treffen wir Wanderer, die zum Verschnaufen eine Rast einlegen. Mary und Bernie Lawrence kommen aus der Gegend. Sie wollen den Berg in einer Woche siebenmal besteigen – aus Wohltätigkeitsgründen, für die Irische Autisten-Gesellschaft, wie die beiden sagen.

Seelenwanderung

Es heißt, wenn man den Berg dreimal hintereinander bestiegen habe, würde eine Seele in den Himmel kommen. Man müsse nur an sie denken. Das sei eine alte irische Tradition hier am Croagh Patrick, sagt Bernie.

Bergführer Gerry hat schon viele Seelen in den Himmel gebracht. Mehr als 300-mal ist er auf dem Gipfel gewesen. Und er habe so manchen Pilger getroffen, der schlecht ausgerüstet war. Dabei kann das Wetter rasch umschlagen. Sonne, Schnee und Nebel – selbst im Sommer ist das möglich.

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Das Wetter auf dem Berg kann rasch umschlagen – auch im Sommer. Die Kapelle auf dem Gipfel liegt dann im Nebel.

Die letzten 250 Höhenmeter sind die steilsten. Ein rutschiger Untergrund voller Geröll. Keine Serpentine, die Erleichterung verschafft. Aber der Weg zum Croagh Patrick ist auch nicht als fröhliches Freizeitwandern gedacht, sondern ein Büßerweg hinauf zur Kapelle von Saint Patrick. Unterwegs entschädigt der Ausblick.

Keine Schlangen mehr

Als Saint Patrick den Berg bestiegen haben soll, habe Irland unter einer dreifachen Plage gelitten: Zauberer, Dämonen und giftige Reptilien. Der fromme Patrick kämpfte mit Gebeten gegen die Peiniger, läutete seine Glocke – die heute im National Museum in Dublin zu sehen ist – so oft, dass sie schwarz wurde, und befreite sich zum Schluss, indem er die bösen Geister mit seinem Stab so wuchtig in den Abgrund bannte, dass dort ein See entsprang. Deshalb gibt es, sagt der Volksmund, in Irland heute keine Schlangen.

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Der Blick vom 765 Meter hohen Croagh Patrick im Westen Irlands auf die Clew Bay ist spektakulär: In der Bucht liegen 365 Inselchen – eine für jeden Tag des Jahres.
Foto: picturedesk / laif / Karl-Heinz Raach

Auf dem Gipfel angekommen, pfeift einem der Wind um die Ohren. Dort steht eine weißgestrichene Kapelle. 1905 wurde sie geweiht, seitdem werden dort Gottesdienste für die Pilger abgehalten. Im Innern befindet sich ein Stein, auf dem Saint Patrick so lange im Gebet verharrt haben soll, bis seine Knie einen Abdruck hinterließen. Die besonders Eifrigen gehen 15-mal um die Kapelle herum, beten 15 "Vaterunser" und "Gegrüßet seist du, Maria".

Der 360-Grad-Blick ist fantastisch: Unten liegen Torfmoore, Weiden, Hecken und Steinwälle, die das Land geometrisch gliedern, davor hunderte Inselchen in der Clew-Bucht. Eine irische Bilderbuchlandschaft eben. (Michael Marek, 13.3.2016)