Daniela Strigl, "Berühmt sein ist nichts. Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Biographie." € 26,90 / 440 Seiten. Residenz, Salzburg 2016

Als am 15. März 1916, drei Tage nach dem Tod der Autorin heute, Samstag, vor hundert Jahren, im Wiener Stephansdom das Requiem für Marie von Ebner-Eschenbach gelesen wurde, war "tout Vienne" anwesend. Man nahm damals nicht nur Abschied von einer der bekanntesten Schriftstellerinnen ihrer Zeit, sondern auch von einer Autodidaktin, die als Mädchen nicht Latein und Griechisch lernen durfte, sich später gegen viele Widerstände durchsetzte und schließlich als erste Frau in den Presseclub Concordia aufgenommen und mit einem Ehrendoktorat der philosophischen Fakultät der Universität Wien ausgezeichnet wurde. Lange war sie zudem für den Literaturnobelpreis im Gespräch gewesen.

Und was blieb? Vor allem zunächst das Bild einer etwas betulichen Autorin von Dorfgeschichten und Aphorismen, die gern als "Dichterin der Güte" verharmlost wird. Die Leseausgabe ihrer Werke im Residenz-Verlag und die neue, ebendort erschienene Biografie von Daniela Strigl mit dem Titel Berühmt sein ist nichts sind dazu angetan, dieses Bild zu korrigieren. Dazu ist es höchste Zeit, wie Strigl schreibt, auch "weil das Bild der Literaturgeschichte sich von der Persönlichkeit der Dichterin und vor allem von deren Texten gelöst hat (...)."

Und in der Tat lernt der Leser in dieser 400 Seiten starken Biografie, die einen gewaltigen Lebens-und-Werk-Bogen erschließt, eine andere Marie von Ebner-Eschenbach kennen.

Der biografische Kreis schließt sich im Buch in einem Schloss im kleinen tschechischen Ort Zdislavice, wo Marie in die adlige Familie derer von Dubsky geboren wurde und wo sie neben ihrem Mann Moritz von Ebner-Eschenbach ihre letzte Ruhe fand.

In Zdislavice liegt auch das Epizentrum von Ebner-Eschenbachs Werk. Hier wurde sie am 13. September 1830 geboren, hier hatte sie den Tod der Mutter, einer Sächsin, die drei Wochen nach Maries Geburt starb, zu verarbeiten und einen ungeduldigen Vater zu ertragen, hier hatte sie ihren späteren Mann Moritz kennengelernt, und hier hatte sie gegen den Widerstand der Großmutter ihre ersten Gedichte in Form kleiner Zettelchen, die sie im Park auslegte, in den Wind geschrieben.

Eine Zerrissene

In Zdislavice hatte sie zudem früh schon die Stoffe gefunden, die sie ein Leben lang beschäftigten. Jährlich kam sie zurück an diesen Ort, nicht nur um den Wiener Sommern, sondern auch den gesellschaftlichen Pflichten der Hauptstadt zu entgehen. Ansonsten ist die Schriftstellerin wenig gereist, Strigl berichtet von einer Parisreise (zum Gatten), einigen Rom- und Venedigbesuchen – und von vielen Kuraufenthalten wegen der zeitlebens fragilen Gesundheit (u. a. Kopfschmerzen, Trigeminusnerv).

Marie von Ebner-Eschenbach, die früh schon nichts als Schreiben wollte, was sich als Frau nicht ziemte, und als Kind ein Wildfang war, der sich im Reiten und Scheibenschießen hervortat, später dann dem Kartenspiel, der Uhrmacherei und dem Zigarrenrauchen frönte, war eine vielfach zwischen den Epochen und den politischen wie literarischen Strömungen Zerrissene.

Denn, so die Biografin: "Sie sympathisierte mit der bürgerlichen Revolution und war erschrocken über ihre Brutalität, sie wünsche sich konstitutionelle Reformen und hielt an der Monarchie fest, sie kritisierte den Adel scharf und glaubte an seine noble Bestimmung. Sie schrieb sozialkritische Texte (...), doch mit Sozialismus wollte sie nicht zu tun haben. Sie war nicht fromm, aber religiös und dachte antiklerikal. Sie unterstützte die Kämpferinnen für die Frauenemanzipation, doch sie bekannte sich nicht öffentlich zu ihnen. Sie nahm in vielem Rücksicht auf ihre Familie, die von einem weiblichen Mitglied Zurückhaltung in politischen Fragen erwartete, aber sie trat ohne Zögern dem von Bertha von Suttner ins Leben gerufenen 'Verein zur Abwehr des Antisemitismus' bei. (...) Sie, die Aristokratin galt und gilt als Hauptvertreterin des Bürgerlichen Realismus und wagte sich doch in so mancher Schilderung von Elend und Ungerechtigkeit auf naturalistisches Terrain."

Während die Brüche des josephinischen Zeitalters dem Leben Ebner-Eschenbachs eingeschrieben sind, interessierte sie in ihrem Werk nicht die große Politik, sondern Soziales und das vermeintlich kleine Zwischenmenschliche, in dem sich die Nuancen der Machtverhältnisse spiegeln.

Die Themen Verrat und Treue, auch zu sich selbst, sowie Schuld und Bekenntnis ziehen sich wie rote Fäden durch die Erzählungen, Novellen und Romane Ebner-Eschenbachs, die sich oft den "kleinen" Leuten widmen: den Kleinbürgern, Handwerkern, dem Landvolk, den Besitzlosen und Ausgestoßenen, auf denen die Autorin – wie auf der Tierwelt auch – einen genauen, aber nie kalten, mitfühlenden und zuweilen humorvollen Blick ruhen ließ.

Zunächst hatte sich die junge Marie in den Kopf gesetzt, eine berühmte Dramatikerin zu werden. Nach der frühen Heirat mit Moritz 1848 – er war als Cousin ein Blutsverwandter, die Ehe blieb vielleicht auch deswegen kinderlos – und der Übersiedlung nach Wien, wo der Gatte als Ingenieur und Erfinder als hoher Offizier diente, brachte Marie sogar einige Theaterstücke auf die Bühne, die allerdings bei Publikum und Kritik durchfielen – nicht nur weil sie Frau und Aristokratin war.

Nach vielen Jahren des Weiterdramatisierens und dauernden Zweifels gelang Ebner-Eschenbach als Prosaautorin in den 1880er-Jahren mit Romanen wie Bozena, Lotti die Uhrmacherin und vor allem mit ihren Aphorismen der Durchbruch, was auch ihren, den literarischen Ambitionen seiner Frau distanziert, aber nicht feindlich gegenüberstehenden Mann beruhigte. Was danach folgte, ist Literaturgeschichte.

Es ist eine feine und feinfühlige Biografie, die Daniela Strigl Marie von Ebner-Eschenbach widmet. Sie beruht auf präzisen, vielschichtigen Lektüren des Werkes, von Briefen und Tagebüchern der Schriftstellerin, an denen die Biografin den Leser teilhaben lässt. Wenn nötig, scheut Strigl in ihrer nach allen Regeln der germanistischen Kunst und nichtsdestominder flüssig und elegant geschriebenen Biografie auch das wohltemperierte Psychologisieren nicht. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Biografie ist die unglaubliche Begabung der Schriftstellerin zur Freundschaft, die Strigl herausarbeitet. Freundschaften mit Streitgefährten wie Ferdinand von Saar etwa, aber auch mit Frauen wie der Beraterin Ida Fleischl.

Es ist ein differenziertes Bild, das der Leser in dieser Biografie Marie von Ebner-Eschenbachs erlangt. Umrissen wird nicht nur der weite Weg vom "Blaustrumpf", wie bildungshungrige "unweibliche" Frauen damals genannt wurden, zur etablierten Autorin, es wird in diesem Buch auch das Bild eines Menschen transparent, dem es weniger darum ging, sich durchzusetzen, als an dem festzuhalten, was ihm das Wichtigste war. 1878 notierte Marie von Ebner-Eschenbach in ihr Tagebuch: "Ich brauche freilich nicht zu schreiben um essen zu können aber ich brauche zu schreiben um leben zu können." (Stefan Gmünder, Album, 12.3.2016)