Es ist schon erstaunlich, was heutzutage alles als unangenehme, aber unumstößliche Wahrheit verkauft wird. Dass wir den Influx an Flüchtlingen drastisch reduzieren müssten etwa. Dass wir das nicht mehr aushalten, wenn es im nächsten Jahr wieder so viele Flüchtlinge werden wie heuer. Ganz egal, ob IS und Taliban in Irak und Afghanistan wüten, ganz egal ob Bashar Al-Assad sich an Waffenruhe in Syrien halten will oder nicht. Die österreichische Sicht endet ein paar Autostunden von Wien, an der Staatsgrenze. Alles andere: egal. Abgesehen davon, dass nicht alle der 90.000 Menschen, die im Vorjahr hier einen Asylantrag gestellt haben, noch immer im Land sind: Warum halten wir es eigentlich nicht aus? Wer diese Frage zu stellen wagt, wird als naiv, als realitätsfern hingestellt. Das ist ein perfider Trick. Weil man so tut, als wäre die Entscheidung "es muss weniger werden" nicht eine politische, von bestimmten Werten durchsetzte Entscheidung, sondern als wäre sie ein Faktum, das von ein paar Realitätsverweigerern nicht gesehen wird.

Dabei basiert ja gerade diese Entscheidung samt dazugehörigem Obergrenzen-PR-Gag auf dem Konsens der Regierungsparteien, ein Stück weiter nach rechts rücken zu wollen, um damit den Erfolg der FPÖ zu bremsen – nicht mehr, nicht weniger. Es wäre ehrlicher, dies zuzugeben, als so zu tun, als handle es sich hier um faktenbasierte Politik. Als Regierungspartei Verantwortung zu übernehmen, heißt ja gerade, zu Werthaltungen zu stehen und zu sagen: Wir glauben an dies und jenes und wollen dieses Problem daher genau so und nicht anders lösen. Auf dass alle, die anders denken, uns für unsere Entscheidung kritisieren mögen – das halten wir aus, schließlich haben wir gute Argumente.

In der derzeitigen Debatte bleiben Argumente aber gänzlich aus. Von begrenzten "Kapazitäten" ist die Rede. Bei näherem Nachfragen heißt es oft, es gebe keine Unterkünfte mehr. Doch wer die leidige Durchgriffsrechtdiskussion des Jahres 2015 verfolgt hat, wer gesehen hat, wie engagierte Teile der Zivilbevölkerung nicht nur nicht unterstützt, sondern von offizieller Seite sogar behindert wurden, als sie Quartiere zur Verfügung stellen wollten, hat gute Gründe, diese Aussagen skeptisch zu sehen.

Man könnte annehmen, mit steigender Flüchtlingszahl professionalisiere sich auch der Umgang mit den Ankömmlingen. Das ist nicht der Fall: Freiwillige und NGOs an der Basis berichten von chaotischen Zuständen. Immer noch dienen Notunterkünfte als Dauerlösung.Professionalisiert hat sich nur die Kommunikation der Bundesregierung. Sie tritt nach außen hin homogener auf, drischt einheitlich dieselben Phrasen. Und bezichtigt Kritiker der Naivität.

Diese Strategie gibt es schon lange, nennen wir sie die "Böse-Gutmenschen-Strategie". Rechtsaußenparteien wie die FPÖ üben sich seit jeher darin, Problemursachen bestimmten Gruppen zuzuschieben: erst den Ausländern, dann den Muslimen, jetzt eben den (überwiegend muslimischen) Flüchtlingen. Nicht der stetig sinkende Reallohn und die steigenden Mieten sind daran schuld, dass uns weniger im Börsel bleibt, sondern der böse Muslim. Nicht die Milliardenschulden und Landeshaftungen der Hypo belasten das Budget, sondern die paar Zerquetschten, die für die Mindestsicherung draufgehen. Eine billige Rhetorikstrategie, die von Regierungsparteien früher noch scharf kritisiert wurde. Bis das Copy-Paste einsetzte und sich dieselbe PR im Programm von ÖVP und SPÖ wiederfand – mit dem Ziel, so den FPÖ-Aufstieg zu verlangsamen.

Es wäre hoch an der Zeit, dass die Regierung endlich Verantwortung übernimmt. Dass sich SPÖ und ÖVP nicht so verhalten, als wären sie im Dauerwahlkampf, sondern zwischendurch auch an kommende Generationen denken. Denn dann müssten sie zum Schluss kommen, dass diese Gesellschaft eine sein wird, in der es ganz normal ist, dass die Schulkollegen der Tochter, des Sohnes aus syrischen, irakischen, afghanischen Familien kommen.

Dass diese Trennungen gar nicht mehr möglich sind, weil sich neue Konstellationen bilden: Oma Nr. 1 kommt aus Bosnien, Oma Nr. 2 aus Pakistan, Opa Nr. 1 aus Meidling und Opa Nr.2 gibt es keinen, dafür hat Opa N.1 einen neuen Lebensgefährten. Man nennt das offene Gesellschaft. Sich dieser Entwicklung nicht zu verschließen – das wäre realitätsnahes Denken. Für viele, die gerne alles so hätten wie es schon längst nicht mehr ist, mag genau das eine unangenehme Wahrheit sein. Und natürlich werden Parteien wie die FPÖ Horrorszenarien zeichnen, um in der Bevölkerung nur ja keine Zuversicht aufkeimen zu lassen. Doch ist es die Aufgabe von Regierungsparteien, hier dagegenzuhalten. Zu betonen, dass wir längst eine Einwanderungsgesellschaft sind, sein müssen und folglich sein wollen. Denn alles andere, mit Verlaub, wäre naiv. (Maria Sterkl, 13.3.2016)