Die neue Chefin des Hauptverbands, Ulrike Rabmer-Koller, will, dass sich gesundes Leben auszahlt: Wer bestimmte Ziele erreicht, wird belohnt. Auch gegenüber Selbstbehalten für alle Versicherten zeigt sie sich nicht abgeneigt. Eine Anhebung der Tabaksteuer sieht sie ambivalent.

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STANDARD: Am Montag haben Gesundheitsministerium und Hauptverband erstmals mit der Ärztekammer über das Primärversorgungsgesetz verhandelt. Bislang waren die Ärzte nicht sehr begeistert, nannten den Entwurf "inakzeptabel". Wie geht es weiter?

Ulrike Rabmer-Koller: Wir brauchen die Primärversorgungszentren (PHC) unbedingt, weil die Spitalsambulanzen mit Leuten überlastet sind, die dort eigentlich gar nicht hingehören. Sie könnten in einem PHC, in dem Allgemeinmediziner und anderen Gesundheitsberufe zusammenarbeiten, gleich gut, aber günstiger behandelt werden. Mir ist wichtig, dass wir dafür eine einheitliche Regelung haben. Das geht nur mit den Ärzten.

STANDARD: Inhaltlich wollen Sie nichts verraten. Sind Sie zuversichtlich, dass man mit den Ärzten bis Mitte 2016 eine Regelung findet, um bis Jahresende wie geplant ein Prozent der Bevölkerung in Primärversorgungszentren zu versorgen?

Rabmer-Koller: Ja, nur müssen sich alle Seiten bewegen. Aber wir haben ja schon ein PHC in Wien, ein zweites im Aufbau, eines entsteht in Oberösterreich. Ein Ausbau war also schon bisher möglich – ohne Gesetz.

STANDARD: Braucht es überhaupt ein Gesetz?

Rabmer-Koller: Ich will österreichweit eine einheitliche Regelung haben. Derzeit gibt es viel Unsicherheit. Deshalb muss bis zum Sommer entschieden sein: Gibt es ein Gesetz? Wenn nicht, muss man trotzdem einheitliche Richtlinien festlegen und umsetzen, damit wir im nächsten Jahr in jedem Bundesland zwei bis drei PHCs haben.

STANDARD: Mediziner klagen, dass es nicht mehr attraktiv sei, einen Kassenvertrag zu übernehmen. Sie widersprechen. Warum?

Rabmer-Koller: Sicher müssen wir uns an die veränderten Lebensrealitäten der Ärzte anpassen. Viele Frauen möchten Beruf und Familie vereinbaren. Die wollen keine 40-Stunden-Woche. Wir können aber keinen Teilzeit-Kassenvertrag vergeben.

STANDARD: Ein Kassenarzt verdient nur dann gut, wenn er möglichst viele Patienten in kurzer Zeit behandelt. Ist das nicht der Grund für die Unattraktivität von Kassenverträgen?

Rabmer-Koller: Für die PHCs wird auch ein neues Tarifmodell angedacht. Ein dreistufiges Modell mit einem Pauschalbetrag, zusätzlich werden spezielle Behandlungsfälle einberechnet. Bei der Erfüllung bestimmter Zielvereinbarungen kann es eine Bonusmöglichkeit für den Arzt geben.

STANDARD: Welche Reformvorhaben stehen für Sie in Sachen Dringlichkeit zuvorderst?

Rabmer-Koller: Jedenfalls die Primärversorgung, aber auch der weitere Ausbau von Elga. Das nächste wichtige Vorhaben ist für mich Teweb – also eine telefon- und webbasierte Erstberatung für Patienten.

STANDARD: Würden wir Patienten nach der Dringlichkeit von Reformvorhaben fragen, würden die wohl die langen Wartezeiten bei bestimmten Kassenarztgruppen anführen.

Rabmer-Koller: Das darf man nicht verallgemeinern, das ist nicht so. Es gibt etwa Augenärzte, die sehr lange Wartezeiten haben, bei einem anderen bekommen Sie innerhalb einer Woche einen Termin. Teweb bietet die Möglichkeit, das besser zu verteilen.

STANDARD: Die Zahl der Kassenordinationen zu erhöhen, steht für Sie nicht zur Debatte?

Rabmer-Koller: Nein, ich sehe dafür keine Notwendigkeit.

STANDARD: Das Anreizmodell der Selbstversicherten, die sich zu individuellen Gesundheitszielen verpflichten, gefällt Ihnen. Wann kommt das für alle Versicherten?

Rabmer-Koller: Prävention ist für mich ein ganz wichtiges Thema. Ich würde mir wünschen, dass wir solche Bonussysteme bei allen Kassen haben. Aber das kann ich leider nicht alleine umsetzen. Viele sagen mir, Anreize sind nicht das, was wir wollen. Ich möchte hier trotzdem überzeugen. Einen konkreten Umsetzungszeitpunkt kann ich aber noch nicht nennen.

STANDARD: Jeder Patient soll mitarbeiten?

Rabmer-Koller: Genau. Das bedeutet aber nicht, dass das SVA-Modell exakt von allen Kassen übernommen werden soll. Das geht gar nicht, weil wir ja nicht überall Selbstbehalte haben, die man reduzieren könnte. Aber es spricht nichts gegen ein Anreizmodell bei allen Kassen.

STANDARD: Wie kann das aussehen?

Rabmer-Koller: Wenn ich die mit dem Arzt bei der Vorsorgeuntersuchung vereinbarten Gesundheitsziele erreiche, bekomme ich eine Art Bonus. Etwa einen Gutschein für eine Gesundheitseinrichtung.

STANDARD: Warum sind manche Kassen dennoch dagegen?

Rabmer-Koller: Viele sagen, gesundes Leben ist ja teuer. Das können sich nur Menschen leisten, die gut verdienen. Ich halte entgegen: Ein Glas Leitungswasser ist günstiger als ein Softdrink.

STANDARD: Wenn Geld ein Argument für gesundes Verhalten ist, warum dann nicht die Zigarettenpreise anheben?

Rabmer-Koller: Ich bin grundsätzlich eine Gegnerin von immer mehr Steuern.

STANDARD: Spricht da die Wirtschaftskammerfunktionärin?

Rabmer-Koller: Nein, da spricht die Unternehmerin. Wir müssen jetzt einmal versuchen das vorhandene Geld bestmöglich einzusetzen. Sonst müsste ich auch eine Softdrinksteuer einführen. Das hält aber niemanden davon ab, Cola zu kaufen.

STANDARD: Das kollidiert doch mit Ihrer Vorliebe für Prävention? Dem Gesundheitssystem entstehen durch Raucher Folgekosten.

Rabmer-Koller: Im Grunde ja. Bei diesem Thema wohnen zwei Seelen in meiner Brust. Ich habe ein Problem mit zusätzlichen Steuern, aber natürlich brauchen wir Maßnahmen, damit die Menschen gesünder leben.

STANDARD: Sind für Sie Selbstbehalte ein Steuerungsinstrument?

Rabmer-Koller: Das Thema ist schwierig, weil es ideologisch besetzt ist. Wir brauchen Gesamtkonzepte, das System muss laufend angepasst und verändert werden, aber auch in Zukunft finanziell abgesichert sein. Derzeit müssen wir Selbstbehalte nicht diskutieren, was in zehn Jahren sein wird, weiß ich nicht.

STANDARD: Könnten Sie einer solchen Diskussion etwas abgewinnen?

Rabmer-Koller: Ein Vorteil von Selbstbehalten wäre, dass jeder Patient sofort sieht, wie hoch die Kosten für seine Behandlung sind.

STANDARD: Bereits Ihre Vorgänger hatten die Idee eines Kinder- und Jugendgesundheitspasses auf der Agenda. Werden wir auch Ihren Nachfolger danach fragen müssen?

Rabmer-Koller: Ich hoffe nicht. Bei mir steht es sehr weit oben. Zwischen dem Auslaufen der regelmäßigen Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen und den Gesundenuntersuchungen im frühen Erwachsenenalter klafft eine Lücke. Hierfür wollen wir ein Konzept erarbeiten und den Pass im nächsten Jahr umsetzen.

STANDARD: Sollen mit dem Pass bestimmte Verpflichtungen verknüpft sein?

Rabmer-Koller: Ich will keine Zwangsmaßnahmen, sondern positive Anreize. Konkreten Plan gibt es dazu noch keinen.

STANDARD: All Ihre Pläne kosten, gleichzeitig schreiben die Kassen wieder rote Zahlen. Was erwarten Sie sich von der angekündigten Effizienzstudie, wann wird sie fertig sein?

Rabmer-Koller: Die Studie ist zwar im Regierungsprogramm verankert, aber noch nicht in Auftrag gegeben. Derzeit führe ich Gespräche mit den zuständigen Ressortchefs, welches Ministerium sie zahlen soll. Wichtig ist mir, dass die Studie wirklich offene Ergebnisse hervorbringen kann. Aber klar ist, das Konzept darf dann nicht in der Schublade verschwinden. Wir müssen auch entsprechende Handlungen setzen und die Empfehlungen Schritt für Schritt umsetzen, um die Sozialversicherung zukunftsfit aufzustellen. Ich will noch in diesem Jahr Zahlen, Daten und Fakten auf dem Tisch haben und darauf basierend Entscheidungen treffen.

STANDARD: Angenommen die Studie empfiehlt eine Zusammenlegung der Sozialversicherungen, würden Sie es umsetzen?

Rabmer-Koller: Wenn wir dadurch viel einsparen können, dann müssen wir handeln. (Marie-Theres Egyed, Karin Riss, 17.3.2016)