"Die Rheintöchter" (1982-2013): Während in Anselm Kiefers Rheinbildern dem Fernblick oft Bäume in die Quere kommen, ist der Blick auf diese Hüterinnen des Rheingoldes ganz frei.

Foto: Galerie Thaddaeus Ropac © Anselm Kiefer und Albertina, Wien

Wien – Dass er kleckert, statt zu klotzen, kann man Anselm Kiefer nicht nachsagen. Monumentale Objektgemälde, auf denen nicht nur Farben, sondern auch Äste, Sand, Stroh, Metall, Holz wuchern, ja ausufern: Sie sind es, die den 1945 in Donaueschingen Geborenen zu einem der gefragtesten Künstler unserer Zeit machen. Und monumental sind so auch Kiefers Holzschnitte, denen die Albertina nun eine Schau widmet.

Wenn Kiefer die Porträts deutscher Geistesmenschen in handlichere Druckstöcke fasste, dann, um später mehrere davon in Großformaten zusammenzuführen. Für Wege der Weltweisheit: Die Hermannsschlacht arrangierte er um ein loderndes Feuer herum etwa die Köpfe von Dichtern, Denkern, Politikern, verbunden durch eine gemalte Spirale. Eine Ehrerweisung an den Weltgeist ist die Arbeit aber nicht etwa, sondern vielmehr die kritische Aneignung von Propagandamaterial.

Die Vorlagen für die Köpfe entnahm Kiefer nämlich Büchern, Zeitschriften und Lexika der Nationalsozialisten. Zudem verweist er mit der Hermannsschlacht auf den "deutschen Mythos": Es handelt sich um eine kriegerische Auseinandersetzung im Jahr 9 n. Chr., in der die Germanen siegten. Der Schauplatz, der Teutoburger Wald, wurde zum "Geburtsort" des Germanischen.

Missverständliche Zitate

Auf der Biennale in Venedig 1980 handelte sich Kiefer mit Wege der Weltweisheit Missverständnisse ein. Man erkannte das Bild, das nun auch in der Albertina zu sehen ist, nicht als kritische Auseinandersetzung, als Demaskierung der NS-Propaganda, sondern als Fürsprache. Man übersah, wie Kiefer damals sagte, den "löchrigen Boden", auf dem das Pathos bei ihm gebaut sei.

Freilich kokettiert Kiefers Werk auch mit derlei Missverständnissen, die auf der Strategie des Zitats beruhen: Kiefer übernimmt ganze Versatzstücke der Geistes- und Kulturgeschichte, um ihnen in intuitiven Arrangements neue Aussagen abzuringen. Ähnlich wie die vom Künstler geschätzte Lyrikerin Ingeborg Bachmann, die sich bewusst war, immer eine schon vorbelastete Sprache sprechen zu müssen, wollte sie diese auch letztlich überschreiten.

Deutlich wird das etwa in einem Zyklus über den Rhein, in dem Landschaftsbilder immer wieder mit architektonischen Abbildungen verknüpft sind. Darstellungen von Teilen des Atlantikwalls scheinen dabei über dem Wasser zu schweben, bilden als künstlich geschaffene Grenze einen Gegenpol zur "natürlichen Grenze" des Rheins.

Immer wieder umkreist Kiefer die Frage, inwiefern Grenzen etwas bloß Fiktives sind. Trotz aller scheinbaren Vergilbtheitsromantik der Motive (durch malerische Überarbeitung verstärkt) eine zeitgemäße Frage. Zeitlos ist aber auch eine Serie, die ab 1990 entstand und zu den Highlights gehört: Kiefer beschäftigte sich darin mit Mystik und den Schriften von Robert Fludd.

Der Renaissancegelehrte interessierte sich für die Analogie zwischen Mikro- und Makrokosmos, Mensch und Universum. In Kiefers minimalistischem Sternenhimmel führt eine einzelne Linie zu einem Menschen "herunter". Einerseits korreliert dabei die Idee, wir seien die Membran zwischen Mikro- und Makrokosmos mit dem Thema Grenzfluss. Anderseits scheint ein Mikro-Makro-Verhältnis auch unsere Beziehung zu Kiefers monumentalen Formaten zu bestimmen. (Roman Gerold, 18.3.2016)