Mehr als 1200 Vorfälle mit Verdacht auf Verhetzung, Wiederbetätigung & Co wurden 2015 bei den Verfassungsschützern registiert – und oft stachelten die Bilder mit den vielen Flüchtlingen in Traiskirchen, Nickelsdorf, Spielfeld die ausfälligen Bürger angeblich bei ihren Taten an.

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Wien – Der Freispruch für einen Hassposter vom Verdacht auf Verhetzung am Wiener Straflandesgericht löst auch an höchster Stelle Befremden aus. Wie berichtet, hat der Lagerleiter eines Möbelriesen auf Facebook u. a. unter einem Foto eines tanzenden Kindes mit dunkler Hautfarbe mit Bezug zu Traiskirchen das Konterfei eines lachenden Adolf Hitler gepostet. Dazu den Text: "Du bist lustig, Dich vergas' ich zuletzt." Richter Stefan Apostol begründete sein Urteil auch damit, dass "wir immer noch in einem Land sind, wo man seine Meinung kundtun darf". Staatsanwalt Volkert Sackmann legte umgehend "volle Berufung" ein.

Im Justizressort "nicht ganz verständlich"

Christian Pilnacek, Strafrechts-Sektionschef im Justizministerium, sagt zu dem Richterspruch, der Donnerstagmittag gefällt wurde: "Der Freispruch ist mir nicht ganz verständlich." Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP), der den Kampf gegen "vergiftete Inhalte im Netz" aufgenommen hat, kommentiert die Vorgänge im Verhandlungssaal 310 auf Anfrage nicht, denn: Richter gelten in Österreich als weisungsfrei und damit als unabhängig.

Ein Signal wie "Feuer frei für Hassposter!"

Der Grüne Peter Pilz sieht in Apostols Urteil, das zwar nicht rechtskräftig ist, jedoch eine verheerende Signalwirkung, nämlich: "Feuer frei für alle Hassposter!" Dazu wirft Pilz für die Justiz eine unangenehme Frage auf – und zwar: ob es auch in diesem Fall eine verdeckte Weisung seitens der Oberstaatsanwaltschaft Wien gegeben habe? Denn der Grüne bezweifelt, dass es die obere Behörde mit der Verfolgung von Hasspostern wirklich ernst meine.

Neue Qualität bei Vergehen

Zeit für eine Bilanz, ein Dreivierteljahr nach Ausbruch der Asylkrise hierzulande. Der jüngste Bericht des Verfassungsschutzes für das Jahr 2015, der demnächst präsentiert wird, weist bei den einschlägigen Meldungen – also zu Vorfällen, bei denen Menschen ihre Wut auf Minderheiten offen, oft via Hasspostings, entluden – zwar quantitativ eine Konstanz aus, denn: 2014 wurden rund 3300 derartige Meldungen verzeichnet und für das Vorjahr ist nur eine relativ geringfügige Steigerung vermerkt. Aber: "Die Qualität ist eine andere", erklärt Karl-Heinz Grundböck vom Innenministerium, weil: "Der Anteil von Meldungen mit strafrechtlicher Relevanz hat sich im Vorjahr mehr als verdoppelt."

Überschreiten rechtlicher Grenzen

Bedeutet: Mehr als 1200 Vorfälle mit Verdacht auf Verhetzung, Wiederbetätigung & Co wurden 2015 bei den Verfassungsschützern registiert – und oft stachelten die Bilder mit den vielen Flüchtlingen in Traiskirchen, Nickelsdorf, Spielfeld die ausfälligen Bürger angeblich bei ihren Taten an. Grundböck: "Die aktuelle Krise im Flüchtlingsthema trägt offenkundig zu einer weiteren Polarisierung bei. In einer polarisierten Diskussion an den Extremen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass mehr den rechtlichen zulässigen Rahmen überschreiten."

48 Verurteilungen im Vorjahr, neun Freisprüche

Blick ins Justizministerium: Dort rechnet man vor, dass 2015 bei den österreichischen Staatsanwaltschaften 479 Fälle gemäß Paragraf 283 des Strafgesetzbuches, also wegen Verhetzung, angefallen sind. Bundesweit wurden im Vorjahr von den Staatsanwaltschaften insgesamt 79 Anklagen erhoben, von den Strafgerichten wurden (personenbezogen) 48 Verurteilungen und neun Freisprüche gefällt. Zum Vergleich: 2014 gab es 72 einschlägige Anklagen und es wurden 30 Verurteilungen ausgesprochen.

Grüne sagen Hassposter den Kampf an

Allein fünfzehn Verfahren speziell gegen Hassposter auf ihre Initiative hin hefteten sich am Freitag die Grünen auf die Fahnen – und bisher habe man in allen abgeschlossenen Fällen recht bekommen, erklärte der Abgeordnete Dieter Brosz.

Hürden für Verhetzung gesenkt

Seit heuer stehen bis zu zwei Jahre Haft darauf, wenn circa dreißig Menschen (bisher 150) zu Gewalt aufgefordert oder zu Hass aufgestachelt werden. Verbreitet man seine Tiraden gegen eine Gruppe, sodass es ihre Menschenwürde verletzt, vor 150 Personen, wie auf Facebook, Twitter & Co recht leicht möglich, kann man jetzt sogar drei Jahre Gefängnis ausfassen.

Der Standard liest mit

Wochentags moderieren beim STANDARD mindestens fünf Mitarbeiter die Online-Foren. Seit Mitte 2015 wurden wöchentlich zudem rund zwanzig User wegen Verstoß gegen die Forenregeln gesperrt. Was die Löschrate von fragwürdigen Botschaften betrifft, lag diese im ersten Halbjahr 2015 in den Asylforen bei 14 Prozent, im zweiten Halbjahr sank die Quote auf elf Prozent. Tendenz weiter sinkend, denn: Heuer mussten von den rund 234.000 Postings zu Flüchtlingsberichten bisher "nur" acht Prozent gelöscht werden. Generell gehen auf derStandard.at an die fünf Prozent der Postings nicht online. (Nina Weißensteiner, 19.3.2016)