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Immer nur maximal effizient und schnell, schnell, möglichst produktiv? Ohne Beziehungspflege geht die Kultur kaputt, ist das Gemeinsame verschwunden.

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Wenn ein Unternehmen Beziehungen sowohl zwischen der Organisation selbst als auch zwischen den Beschäftigten nicht ausreichend fördert, dann verliert sich der Bezug der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Unternehmen, seinen Werten, sogar zur Kultur. Was ausreichend ist, das sollte sich aus der Nachfrage unter den Beschäftigten ergeben. Miteinander im Gespräch bleiben und die damit verbundene Beziehungspflege erhöhen den Wissensstand über Personen, mit denen zusammengearbeitet wird.

Es erhöht sich das Verständnis von aktuellen Gemütslagen und dieses Wissen führt dazu, nicht jeden Ausdruck von Überlastung sofort als tief persönlichen Angriff interpretieren zu müssen. Ich erinnere: Je mehr Informationen wir über und zu einer Person haben können, umso realitätsnaher wird das Bild, das wir uns von dieser Person machen. Dies gilt gleichermaßen auch für Personengruppen. Damit verringern sich Missverständnisse, Fehlinterpretationen und unsinnige Kämpfe.

Wie Fellpflege

Wenn Schimpansen sich nicht der Fellpflege bedienten, dann würden sie einander abschlachten. Dieses "Grooming" genannte Beziehungssystem ermöglicht den Spannungsabbau, versichert die friedliche Nähe, verstärkt den Zusammenhalt der Gruppe.

Wir Menschen sind zu 99,8 Prozent genetisch mit den Schimpansen verwandt, wir sind Primaten mit Sprache und mehr Technik. Die Instinkte und Bedürfnisse unterscheiden sich jedoch nicht sehr von denen anderer Primaten. Mehr "Human Grooming" wäre angesagt.

Das entspricht dem Gesamtbild: Jede Lebensform steht in irgendeiner Art von Beziehung zur eigenen Spezies, zu anderen, zur Umwelt und damit zur Komplexität des Lebens an sich. Klingt vorerst banal und ist es auch. Banal im Sinne von einfach.

Wir Menschen leben ebenso in mannigfaltigen Beziehungen. Zueinander in der Ursprungsfamilie, mit Nachbarn, Freunden, in der Schule, am Arbeitsplatz, im Bus, einfach überall. Wir leben in engster Beziehung mit Bakterien in unserem Darm, mit Viren, die sogar Teile unserer epigenetischen Schaltungen geworden sind.

All diesen Beziehungen liegt ein starkes Wirkungsprinzip zugrunde: der stetige Austausch von Informationen.

Wenn der Informationsfluss zwischen den gut 30.000 Bakterienarten in unserem Darm und unseren Nervensystemen nicht gut funktioniert, kann das zu vielen unterschiedlichen Erkrankungen (zum Beispiel durch einen veränderten Gehirnstoffwechsel zur Depression) führen.

Beziehungen tragen

Der gesicherte Austausch von Informationen ist also unabdingbar für das Überleben sämtlicher Spezies. Beziehungen sind die Trägerwelle für alle Formen von Information. Wir sind also abhängig von Informationen, die über Beziehungen zu uns und von uns gelangen. Facebook und Whatsapp dienen ebenso diesem Zweck wie Berührungskurse.

Der ökorationale Mensch scheint aber das komplexe System von Beziehungen nicht mehr zu verstehen oder verstehen zu wollen. Mit dem Fokus auf Wirtschaftlichkeit ordnen wir all unsere Beziehungsmuster der Maximierung von Leistung und Zahlenerfolg unter.

Schauen wir uns doch nur die Entwicklung von Beziehungskulturen in einem Unternehmen im Zeitraum von zehn Jahren an. Es gibt genügend Beispiele, wo heute gut nur mehr die Hälfte der Beschäftigten fast die doppelte Produktionsmenge erzeugt und liefert. Dies ist eine enorme Beschleunigung, die natürlich mit Einsparungen in den unterschiedlichsten Gegebenheiten einhergegangen ist.

Beziehungsjäger

Zur Untersuchung von Beschleunigungsmöglichkeiten beauftragte Messgruppen waren lange auf der Jagd nach "unproduktiven" Zeitfenstern und fanden auch eine ganze Menge davon in den inoffiziellen Pausenzeiten, den Gesprächen, beim Rauchen, dem Kaffeetrinken, dem Telefonieren, bei Besuchen und wohl noch so manchem nichtkommerziellen Handeln.

Die Unternehmen, die all diese "Pausenzeiten" eliminiert haben, konnten ihren Output auch tatsächlich steigern, stehen aber nun sehr oft vor dem Dilemma, dass Mitarbeiterbeteiligung vulgo Motivation im besten Fall stagniert, dass die Zusammenarbeit von Unternehmensteilen vom Nebeneinander ins Gegeneinander kippt und ein Miteinander eher ein virtueller Wert denn gelebte Wirklichkeit ist.

Im Gehirn gibt es kein Wachstum ohne mehr tragfähige Beziehungen zwischen den bestehenden Nervenzellen herzustellen. Und dieses Wachstum von Nervenzellenverbindungen unterliegt dazu auch noch hauptamtlich nicht der Ratio, sondern der Emotion.

Das sollte ein deutlicher Hinweis sein, worauf es in Unternehmen ankommt: Wenn Beziehungen die Trägerwelle aller Informationen sind, dann muss es auch ausreichend Zeit für diese Beziehungen geben. Einander die Arbeit zu übergeben ist nicht Beziehung. Und Beziehung ohne Wohlfühlen führt zu völlig anderen Beziehungsmustern als ursprünglich gewünscht.

Wenn Beziehungen die Trägerwelle für Informationen sind, dann braucht es die Pflege dieses Trägers intensiv. Keine TV- oder Rundfunkstation wird irgendeine Information vom Sender zum Empfänger bringen, wenn sie sich nicht um die Frequenz kümmert, auf der ausgestrahlt wird.

Beziehungen dienen also dazu, überhaupt Informationen übermitteln zu können, und im Besonderen dazu, dies auch noch richtig verstehen zu können.

Andere besser kennenlernen

Gute Unternehmenskultur ist also nicht nur durch die Kommunikation geprägt, sondern auch durch die Pflege der Trägerwelle Beziehung und die Unterstützung von Beziehungen zwischen den vielen Sendern und Empfängern im Unternehmen.

Selbst in automatisierten Prozessen sind bestens und sehr aufwendig aufeinander, möglichst hochkomplex programmierte Maschinen kein Garant für einen positiv störungsfreien Ablauf.

Flexibilität, Kreativität und Beteiligung brauchen beim Menschen zur Trägerwelle Beziehung und Information noch immer auch den Faktor Wohlfühlen (miteinander). Wer den oder die andere(n) nicht gut kennt, wird beginnen sich diese zu fantasieren, denn wir Menschen müssen uns ein Bild von anderen machen. Unsere Wahrnehmung spielt ohnehin bereits verfälschte Trugbilder aus früheren Erfahrungen mit in irgendeinem Bereich zu assoziierenden Informationen in die Verrechnung neuer Menschen auf unseren inneren Gehirn-Bildschirm.

So entstehen Feindbilder

Wenn dazu noch permanent die Gelegenheit zur Revision dieser Annahmen fehlt, dann verfestigt sich in uns rasch das Bild vom "Feind". Ob dies nun eine bestimmte Person ist, oder eine ganze Abteilung ist eins.

Es gibt derzeit immer wieder aufwendige Verfahren in Unternehmen, in denen die dort arbeitenden Menschen wieder auf den Weg des Gemeinsamen und des Wohlfühlens gebracht werden sollen, um deren Kreativität und Beteiligung wieder zu bekommen. Ein allzu oft sehr viel weiterer Weg, weil er nicht bei Null startet, sondern weit im Minusbereich, also erst einmal viele zwischenzeitlich erlernte Widerstände gegenüber den "anderen" überwunden werden müssen.

Jedes Gehirn kann ja nur, was es gelernt hat. Es kann nicht, was es sich wünscht, und schon gar nicht, was sich andere wünschen. Machen Sie sich auf die Suche nach Zeitfenstern, um Beziehungen leben zu können. Wenn eine Familie nur auf funktionierenden Output reduziert würde, wäre es wohl bald keine mehr. (Johann Beran, 31.3.2016)