Endlich einmal wissen, wie sich ein Kurator fühlt? In der Kunsthalle am Karlsplatz warten u. a. diese Terrakotta-Kanister auf Anordnung.

Foto: Maximilian Pramatarov

Nur einer von endlos vielen möglichen Zuständen der Ausstellung "One, No One and One Hundred Thousand".

Foto: Maximilian Pramatarov

Wien – Der Ausstellungsraum der Kunsthalle Wien am Karlsplatz hat sich in einen Chemiebaukasten verwandelt, zumindest in gewisser Weise. Rauchen oder zischen tut es dort nämlich nicht. Die Chemie, um die es geht, ist jene, die sich zwischen Kunstwerken entfaltet. Die Arbeiten in der Ausstellung One, No One and One Hundred Thousand wollen in immer neue Beziehungen und damit quasi zu immer neuen "Reaktionen" untereinander gebracht werden.

Soll heißen: Die Besucher sind aufgefordert, die Objekte der Schau eigenhändig im Raum anzuordnen respektive ihnen Gestalt zu geben. Martin Soto Climents Graffiti Blind (2016) ist etwa eine Jalousie, deren farbbesprühte Lamellen gegeneinander verdreht werden sollen.

Rätselhafte Handlungsanweisung

Die Bilder der Serie Joy in Paperwork (2016) von Amalia Pica können auf bereits rasterförmig an der Wand montierten Haken verteilt werden. Darren Bader gibt hingegen lediglich die rätselhafte Handlungsanweisung 8/12. Man kann sie als "Lege einen Achter aus zwölf x-beliebigen Dingen" interpretieren, wie es Kurator Luca Lo Pinto vorschlägt, aber auch ganz anders.

Ist man zufrieden mit dem Ergebnis, schießt ein Kunsthalle-Mitarbeiter Fotos fürs Ausstellungstagebuch und versetzt alles wieder in einen Urzustand zurück. Bis dahin hat sich beim Gelegenheitskurator und bei etwaigen Zuschauern günstigstenfalls die Erkenntnis eingestellt, dass aus derselben Werkauswahl gänzlich verschiedene Atmosphären und Botschaften hervorgehen können. Für die Zukunft nimmt man gegebenenfalls auch noch mit, dass eine Ausstellung nicht zwangsläufig die beste aller möglichen sein muss, weil Kuratoren auch nur Menschen sind.

Verspielte Institutionskritik

Man befindet sich auf den Spuren der Institutional Critique, deren Protagonisten – wie etwa Marcel Broodthaers – in den 1960er-Jahren begannen, die Neutralität des Museumsbetriebs und seiner Akteure kritisch zu hinterfragen. In derselben Zeit ist auch die Autorengruppe Oulipo daheim, deren Mitbegründer Raymond Queneau ein weiterer Bezugspunkt für Kurator Lo Pinto ist: Queneaus experimenteller Band Hunderttausend Milliarden Gedichte (1961) enthält zehn Sonette, deren jeweils 14 Zeilen dank streifig eingeschnittener Seiten zu einer schier endlosen Anzahl von Kombinationen gebracht werden können.

Durchweht ist die Kunsthalle aber auch vom Geist des österreichischen Künstlers Franz West, der das Publikum schon früh aufforderte, etwa seine "Passstücke" aus Pappmaché zu benutzen, statt nur zu betrachten: Künstlerkurator Jonathan Monk stiftete vier Sesselobjekte und einen Mantelständer aus der Hand Wests.

Wo soll man die Zeit hinräumen?

Vielleicht ein Detail am Rande, jedenfalls aber ein spannender Aspekt dieses Experiments: Wer sich darauf einlässt, wird sich möglicherweise mit der Frage auseinandersetzen müssen, wo die Kunst anfängt und aufhört. Darf man nun die Topfpflanzen auf Lina Viste Grønlis Rollregal-Installation einzeln bewegen oder lediglich die Holzgestelle als Ganzes? Darf man die Objekte stapeln? Gibt es hier blöde Fragen? Auskunft erteilt, wo die Spielanleitung nicht hinreicht, der einem beistehende Kunsthalle-Mitarbeiter.

Fest steht, dass man nichts kaputtmachen darf. Und im Falle eines Exponats wäre das auch reichlich schwer: Adriana Lara hat unter dem findigen Titel Opening Hours die Zeit an sich – als "immaterielles Readymade" – ausgestellt. (Roman Gerold, 1.4.2016)