Die EU-Kommission hat die Glyphosat-Abstimmung verschoben. Zu Recht, sagt Helmut Burtscher (li.). Christian Stockmar ist für grünes Licht.

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STANDARD: Auf Youtube gibt es ein Video, da erklärt sich ein Monsanto-Manager bereit, ein Glas Glyphosat zu trinken. Er macht es dann nicht, aber ist die Botschaft, es sei nicht so gefährlich, wie dauernd getan werde, richtig?

Stockmar: Das ist natürlich populistisch. Aber ein Produkt, das 40 Jahre am Markt ist, bei dem es breiteste Anwendung gibt und das rauf und runter getestet wurde. Dem kann man schon eine Unbedenklichkeitsbescheinigung gegenüber Mensch und Umwelt attestieren. Pflanzenschutzmittel gehören zu den bestuntersuchten Substanzen überhaupt.

Burtscher: Aber die WHO, die UN-Weltgesundheitsorganisation, hat Glyphosat erst im Vorjahr als "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" eingestuft ...

Stockmar: ... da muss ich präzisieren: Es ist nicht die WHO, sondern die IARC (Internationale Agentur für Krebsforschung) der WHO. Es gibt mittlerweile wahrscheinlich 1000 Studien zu Glyphosat. Das Gefahrenpotenzial, das für Glyphosat von der IARC angegeben wird, ist niedriger als das Gefahrenpotenzial, das die IARC dem Friseurberuf attestiert. Oder wenn man Holzstaub einatmet. Und wenn man Wurst isst, wird das Krebsrisiko von dieser Organisation höher eingestuft, als wenn man mit gängigen Glyphosat-Mengen in Berührung kommt.

STANDARD: Aber solange in einer so heiklen Frage Unsicherheit verbleibt, sollte doch mit einer Neuzulassung in der EU zugewartet werden? Noch dazu für 15 Jahre!

Stockmar: Na ja, das ist wie beim Tiger, der an und für sich eine Gefahr darstellt. Aber es gibt kein Risiko, solange er hinter Gittern ist ...

Burtscher: Glyphosat ist aber nicht hinter Gittern, im Gegenteil. Es wird in einer Menge ausgebracht wie kein anderes Pestizid. Allein in Österreich waren es 338 Tonnen, die im Jahr 2014 verkauft wurden. Deshalb ist Glyphosat auch überall: in den Flüssen, in Lebensmitteln und auch im menschlichen Urin. Zumindest ein Sikkationsverbot gibt es in Österreich. Das heißt, dass die Ernte nicht mit Glyphosat gespritzt werden darf.

STANDARD: Die EU, Österreich besonders, lobt sich immer wegen der strengen Zulassungsverfahren. Jetzt wird halt wieder evaluiert. Warum ist der Aufschrei so groß?

Stockmar: Also ich vertraue den Behörden. Besonders in der EU, wo über die EU-Lebensmittelbehörde Efsa bzw. die deutsche Zulassungsbehörde BfR, die von der Efsa mit der Überprüfung beauftragt wurde, grünes Licht für eine Neuzulassung gekommen ist. Pflanzenschutzmittel sind die bestuntersuchten Stoffe der Welt – besser noch als Medikamente.

Burtscher: Glyphosat erzeugt bei Tieren mit Sicherheit Krebs und wahrscheinlich auch beim Menschen. Das ist eine wissenschaftliche Tatsache. Solche Stoffe dürfen in Europa von Gesetzes wegen nicht zugelassen werden, abseits jeder Risiko-Diskussion.

STANDARD: Ganz verständlich ist es nicht. Warum weicht man nicht aus? Nimmt etwas anderes?

Burtscher: Meine Meinung ist, dass es sich beim Glyphosat wie mit Großbanken verhält: too big to fail. Glyphosat ist sozusagen ein "systemrelevantes Pestizid". Es ist die Lebensschlagader des Saatgutkonzerns Monsanto, dessen Genmais und Gensoja davon abhängen.

STANDARD: Warum nicht die Grenzwerte hinuntersetzen und damit nochmals verschärfen?

Burtscher: Wenn Europa Glyphosat verbietet, darf es auch nicht mehr Nahrungs- und Futtermittel mit Glyphosat-Rückständen importieren. Damit könnten wir kein Gensoja importieren und müssten unser Tierfutter selbst erzeugen.

Stockmar: Es gibt keinen Ersatz für Glyphosat, der das kann, was Glyphosat kann und der so umweltfreundlich und klimaschonend ist. Es schützt den Boden, weil eine mechanische Unkrautbekämpfung nicht notwendig ist und seltener gepflügt werden muss. Auf einen Quadratmeter Boden werden maximal 0,25 Gramm Glyphosat ausgebracht. Und wenn der Mensch Glyphosat aufnimmt, gelangt es nicht in den Stoffwechsel, sondern wird mit dem Urin fast vollständig ausgeschieden. (Johanna Ruzicka, 4.4.2016)