Detail, das zum Bild "Das Narrenschiff" (1500–1510) gehört: die Darstellung "Allegorie auf Maßlosigkeit und Wollust" aus der Sammlung der Yale University Art Gallery, New Haven.

Foto: Rik Klein Gotink / BRCP

Das Triptychon hängt gleich im ersten Saal, wie ein Altar in mysteriöses Licht getaucht. Eine Menschentraube hat sich vor ihm gebildet, die es ehrfürchtig betrachtet. Erst ein Mal in den letzten 450 Jahren hat Der Heuwagen den Prado in Madrid verlassen, ganz kurz nur, für eine Ausstellung in Brügge um 1900. Nun – und das darf zu Recht als Sensation bezeichnet werden – hängt er in der großen Bosch-Retrospektive im Noordbrabants-Museum im niederländischen 's-Hertogenbosch. Sie wird als Jahrhundertschau gefeiert und findet anlässlich des 500. Todestages des bedeutendsten spätmittelalterlichen Künstlers der Niederlande statt.

So wie auf den meisten Gemälden von Hieronymus Bosch (um 1450 bis 1516) wimmelt es auch auf dem Heuwagen regelrecht von Menschen, die sich einer der sieben Todsünden hingeben – in diesem Falle der Habgier. Um auf der rechten Bildtafel dann von Dämonen und Teufeln aufs Fürchterlichste gepeinigt zu werden. "Bosch war ein Moralist", erklärt Professor Jos Koldeweij. "Seine Botschaft ist universell und auch nach 500 Jahren noch gültig: Denk gut nach über dein Leben – entscheidest du dich für das Gute oder für das Schlechte?" Der Heuwagen gehe auf eine Bibelstelle und ein flämisches Volkslied zurück: "Das Leben ist ein Heuberg. Jeder versucht, möglichst viel davon abzubekommen." Als Strafe landen Habgierige und andere Sünder in der Hölle: "Boschs Bilder sind eine unmissverständliche Warnung", so Koldeweij.

Kaum jemand ist dem Künstler auf der Schwelle zur Renaissance so nahe gekommen wie Professor Koldeweij: Als Leiter des internationalen Bosch-Forschungsprojektes ist der niederländische Kunsthistoriker seit 2009 mit einem Expertenteam durch die ganze Welt gereist, um alle 44 bekannten Gemälde und Zeichnungen mit modernsten technischen Mitteln zu analysieren, dokumentieren und, wenn nötig, zu restaurieren. Die Museen brauchten dafür nichts zu zahlen. So sollten sie zu Leihgaben bewegt und die Ausstellung im Noordbrabants-Museum möglich gemacht werden. Denn 's-Hertogenbosch, wo der Künstler sein Leben verbracht hat, besitzt kein einziges Werk.

Die Rechnung ging auf: Der Louvre trennte sich vom Narrenschiff, das Metropolitan in New York von der Anbetung der Könige und der Prado vom Heuwagen: 17 der 24 Gemälde von Bosch und 19 seiner 20 Zeichnungen sind nach 's-Hertogenbosch zurückgekehrt – nur zwei Straßen vom Marktplatz entfernt, wo sie einst entstanden und das Malergenie sein Atelier hatte. Boschs zügellose Fantasie wurde zu seinem Markenzeichen. Adelige und Kaufleute, Herzöge und Könige gerieten in seinen Bann. "Dergleichen ward nie zuvor gesehen noch erdacht", staunte auch Albrecht Dürer.

Die Ausstellung ist thematisch eingeteilt in Bereiche wie "Das Leben Christi", Bosch als Zeichner oder "Heilige". Dort findet sich auch die jüngste Neuzuschreibung, der Heilige Antonius aus Kansas City, der bislang als Arbeit eines Nachfolgers galt.

Malender Moralist

Nach dem Antonius aus Madrid hingegen halten Bosch-Liebhaber ebenso vergeblich Ausschau wie nach dem Steinschneiden, beide aus dem Prado. Das spanische Museum hatte sie als Leihgaben zugesagt, aber im letzten Moment zurückgezogen, da das Bosch-Forschungsteam die Echtheit beider Werke infrage stellt. Rehabilitiert hingegen hat das Forscherteam das Jüngste Gericht aus Brügge, das bislang als Werkstattarbeit galt, und die Höllenlandschaft, eine von Boschs meisterlichen Zeichnungen aus dem Besitz eines belgischen Privatsammlers.

Bosch war sich seines Könnens bewusst und einer der Ersten, der seine Werke signierte. Wie erneuernd der malende Moralist war, zeigt sich auch darin, dass er nass in nass malte. Die Bilder der flämischen Primitiven vor ihm wie Jan van Eyck sind spiegelglatt, Bosch hingegen wollte den Pinselstrich sichtbar werden lassen.

Die größte Überraschung aber erlebten die Experten bei den vier Jenseitstafeln aus Venedig mit Darstellungen von Himmel und Hölle. Sie bilden den krönenden Abschluss der Schau. Bei der Restaurierung kam auf den Rückseiten ein phänomenaler Sternenhimmel zum Vorschein, wie ihn auch Jackson Pollock gemalt haben könnte. Bosch muss die Holztafeln auf den Boden gelegt haben, um sie dann wie ein Vertreter des abstrakten Expressionismus mit Farbe zu bespritzen. "Die Kollegen in Venedig", schmunzelt Kunsthistoriker Ilsink, "sprechen seitdem von einem Bollock." (Kerstin Schweighöfer, 4.4.2016)